Bei diesem PDF-File handelt es sich um die Internet-Version einesAufsatzes, der überarbeitet und korrigiert erschienen ist als:
Paul Michel: »Ignorantia exsilium hominis«. Zu einem enzyklopädischenTraktat des Honorius Augustodunensis. in: Strenarum lanx. Beiträge zurPhilologie und Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit;Festgabe für Peter Stotz zum 40-jährigen Jubiläum desMittellateinischen Seminars der Universität Zürich, hrsg. von Martin H. Graf / Christian Moser, Zug: Achius-Verlag, 2003, S. 117–143.
Für akademische Belange ist einzig die Druckfassung zitierfähig.
Der Text, der hier vergegenwärtigt werden soll, ähnelt etwas den ›Leitbildern‹, diePolitiker\innen unserer Tage den höheren Schulen abnötigen. Während wir uns mitdieser jungen Textsorte und bei der Begründung unserer Curricula etwas schwertun,konnten Autoren früherer Jahrhunderte mit guten Gründen eine finale Beziehungzwischen den Bildungsgütern und deren anthropologischer Einbettung oder garontologischen Anbindung herstellen.
Als Legitimation für den Schulbetrieb kommt uns in den Sinn: PragmatischeVerwertbarkeit des Gelernten, Gedankenzucht anhand der formalen Erarbeitungkomplizierter Materien, Verbesserung der Welt durch Aufklärung, sozialer Aufstiegdurch Bildung, hedonistische Befriedigung anhand interessanter Stoffe. DieBegründungen haben zu verschiedenen Epochen Konjunktur gehabt. Es gab einstauch eine Rechtfertigung, wonach die Wissenschaft das Heil des Menschenbefördert.
Werfen wir zunächst einen Blick auf einen berühmten Bildungstheoretiker desaufblühenden 12. Jahrhunderts: HUGO VON SANKT VIKTOR († 1141). Das»Didascalicon«1 hat in einigen Passagen die Verknüpfung von Studienplan und derBestimmung des Menschen zum Thema. Für Hugo ist der Mensch aus zweiWesenheiten zusammengesetzt (gemina substantia compactus), aus einem
HUGO VON SANKT VIKTOR, »Didascalicon de studio legendi« (um 1127); Migne PL 176,739–812; kritische Ausgabe hg. C.H. Buttimer, Washington 1939; englische Übersetzung mitAnmerkungen von J. Taylor, New York/London 1961; Buttimers Text und deutscheÜbersetzung von Thilo OFFERGELD: Fontes Christiani Band 7, Freiburg u.a.: Herder 1997.
unsterblichen und einem veränderlichen. Der schlechte Teil im Menschen (Hugospricht in diesem Zusammenhang übrigens nicht vom Sündenfall) mussausgeschlossen und der ursprüngliche, gute wiederhergestellt werden (reparandumest I,5). Die Weisheit bzw. Wissenschaft leistet dabei zweierlei: Sie lässt denMenschen seine ursprünglich überragende Stellung einsehen, so dass er wünscht, siewieder zu erlangen. Und sie verhilft ihm dazu, die Gottebenbildlichkeit wiederherzustellen. Die Septem Artes, die Philosophie und die mechanischen Künsteführen zu einer Verähnlichung mit der göttlichen Sapientia.2 Zwei Zitate hierzu:
Der Endzweck aller menschlichen Handlungenzielt darauf hin, entweder die Ähnlichkeit desgöttlichen Bildes in uns zu erneuern, oder sichsimilitudo in nobis restauretur, velum die Notwendigkeit dieses Lebens zuhuius vitae necessitudini consulaturkümmern. […]. Zwei Dinge sind es, welche im[…]. Duo vera sunt quæ divinam inMenschen die Gottähnlichkeit wiederherstellen,homine similitudinem reparant, id estnämlich das Forschen nach Wahrheit und dieAusübung der Tugend. Denn der Mensch istexercitum. Quia in hoc homo similisdarin Gott ähnlich, dass er weise und gerecht ist.Deo est, quod sapiens et justus est; sed Der Mensch freilich ist auf veränderliche Artiste mutabiliter, ille immutabiliter etweise und gerecht, Gott auf unveränderliche.sapiens et justus est. (DidascaliconI, 7/8 )
Dies betreiben alle Künste / Wissenschaften, diesintendunt, ut divina similitudo inerstreben sie, dass sie die Ebenbildlichkeit Gottesnobis reparetur […] cui quanto magisin uns wieder herstellen […]. Je ähnlicher wirderselben werden, um so weiser sind wir. DannTunc enim in nos incipit relucere,nämlich beginnt das Licht wieder zu erstrahlen,quod in ejus ratione semper fuit; quodwelches immer in seinem Geiste gewesen ist;während dieses Licht bei uns einevorübergehende Erscheinung ist, verbleibt es bei
Bei aller Wahrung eines Unterschieds zwischen göttlichem und menschlichemWesen: das intellektuelle Streben vermag nach Hugos Ansicht die Gottähnlichkeit imMenschen wiederherstellen. Dies ist ein erstaunlicher, ebenso ›humanistischer‹ wie›anagogischer‹ Gedanke.
Erwähnenswert ist, dass die Wissenschaften im Didascalicon nicht als im Dienst der Theologiestehend angesehen werden. Hugo sieht das dann in De Sacramentis (Prolog, Kap. 4 = PL176,85) so: constat quod omnes artes naturales divinae scientiae famulantur, et inferior sapientia, recteordinata, ad superiorem conducit.
Einige knappe Bemerkungen zu den Artes Liberales, die im folgenden Text vonBelang sind.3
In der spätantiken hellenistischen und römischen Philosophie entsteht das Idealeiner ›allgemeinen, gewöhnlichen Bildung‹: εγκυκλιος4 παιδεια, die allmählich auchals grundlegend gilt, um eine Bildung auf höherer Stufe zu erreichen.
Die Anzahl der Disziplinen, die unter diesen recht verschwommenen Begriff fällt,wechselt.5 Das Mittelalter erbt im wesentlichen eine gegen Ende des erstenJahrhunderts fest werdende Siebnerreihe.
CICERO zählt grosso modo den späteren Fächerkanon unter die von ihm als artesliberalissimae, liberales atque ingenuae doctrinae bezeichneten Métiers (De oratore I,8-11;III,127).
SENECA äussert sich (Brief Nr. 88) ausführlich über den Stellenwert der Bildung undzählt dabei die klassischen Fächer auf. Die artes liberales, studia liberalia, die nicht demGelderwerb dienen, heissen ›liberalis‹, weil sie des freien Mannes würdig sind:Quare liberalia studia dicta sint vides: quia homine libero digna sunt.
Das Christentum erbt und tauft das antike Bildungsgut und verwendet esnutzbringend bei der Bibelauslegung (Augustinus, Cassiodor6, Boethius, MartianusCapella). Isidor von Sevilla definiert die Septem Artes Liberales in den»Etymologiae« I,ii,1-3.
HRABANUS MAURUS sieht die Artes in einem Stufenschema. In einem Dialogzwischen Schüler und Lehrer erfüllt der Lehrer die Bitte des Schülers, ihm die sieben
Nur wenige Hinweise auf Literatur: U. LINDGREN, Artikel »Artes Liberales« in: G. Ueding,Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Tübingen 1992ff., Bd. 1, Sp. 1080–1109. – H. FUCHS,Artikel »Enkyklios paideia«, in: RAC IV (1962), 365–98. – Ilsetraut HADOT, Arts Libéraux etPhilosophie dans la Pensée Antique, Paris: Études Augustiniennes 1984. – Die Literatur zummittelalterlichen Bildungssystem ist enorm. Neue Impulse sind von der umfänglichenHabilitationsschrift von Michael STOLZ über Artes-Liberales-Zyklen zu erwarten (erscheint inder Reihe Bibliotheca Germanica).
‘enkyklios’ = wurde ausgesagt von denjenigen Ämtern, die im Kreise der freien Bürger alsReihendienst herumgingen, also keine Spezialausbildung erforderten (Heinrich LAUSBERG,Handbuch der literarischen Rhetorik, München 1960, § 12).
Es gab immer wieder Erweiterungen über die Siebenzahl hinaus. Varro bereits ergänzte sie mitMedizin und Architektur; Hugo parallelisiert die sieben artes liberales mit sieben artesmechanicae sive adulterinae (Didascalicon II,21ff.).
Flavius Magnus Aurelius CASSIODORUS, Institutiones, ed. R. A. B. Mynors, 1937; ReprintOxford: Clarendon Press 1961. Stufen der Philosophie zu zeigen und ihn auf diesen Stufen in geeignetem Alter zu denSublimitäten der Spekulation zu führen. SCHÜLER: Geh nur immer voran und heb uns aus dem Nest der Trägheit endlich aufdie Zweige der Weisheit. Und zeig uns die sieben verschiedenen Stufen dertheoretischen Wissenschaft. – LEHRER: Dies sind die Stufen, nach denen ihr sucht;möchtet ihr doch immer so darauf brennen, sie zu erklimmen, wie ihr jetzt daraufneugierig seid, sie kennen zu lernen: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik,Geometrie, Musik und Astronomie. Mit ihnen beschäftigen sich die Philosophen inder Muße und bei der Arbeit. Durch sie wurden sie angesehener als Konsuln,berühmter als Könige… (PL 101,853).
THEODULF VON ORLÉANS schreibt ein Gedicht »Über die in einem Gemäldedargestellten Sieben Freien Künste« (PL 105, 333–335), eine Kombination aus Baum-und Personifikationsallegorie, in die auch die vier Kardinaltugendenhineingearbeitet sind.
Während nach CICEROs Auffassung die Freien Künste so heissen, weil sie einesFreien würdig sind (De officiis I,150), kennt HUGO von Sankt Viktor eine andereHerleitung von liberalis: sie heissen so, weil sie einen freien, durch nichts behindertenGeist erfordern (Didascalicon II,20).
Über Hugos Zeitgenossen HONORIUS AUGUSTODUNENSIS (ca.1080 – ca.1137), weissman wenig. Er ist nicht bloß Enzyklopädist, er reflektiert auch über das Wissen. Auch Honorius sieht – in seinem kleinen Traktat »De animae exsilio et patria« – imNichtwissen einen defizienten Zustand des Menschen, der sich durch intellektuellesStreben verbessern oder gar beheben lässt.7
Honorius präsentiert sein Modell in Form einer Reise-Allegorie8: Für ihn befindetsich die Seele des Menschen im Exil; ihre Bestimmung ist das Paradies. Die Stationender Rückreise sind die einzelnen Artes, die er als Städte allegorisiert, wobei derenarchitektonischen Bestandteile ihrerseits Allegorien für die Wissensinhalte und dieAmtspersonen Allegorien für die Hauptvertreter abgeben. Die Allegorie diesesHeimkehr-Prozesses bildet ein ›Curriculum‹ im Wortsinne. Auch seine »Scala cœli
Aufgefallen ist mir der Text im Rahmen meiner Beschäftigung mit Enzyklopädien, vgl. PaulMichel, Ordnungen des Wissens. Darbietungsweisen des Materials in Enzyklopädien. In: IngridTomkowiak (Hg.), Populäre Enzyklopädien. Von der Auswahl, Ordnung und Vermittlung desWissens, Zürich: Chronos-Verlag 2002, S. 35-83 und www.enzyklopadie.ch
Die entfaltetste Reiseallegorie in der christlichen Andachtsliteratur ist wohl John BUNYAN(1628–1688), »The Pilgrim’s Progress from this World, to that which is to Come; deliveredunder the Similitude of a Dream, wherein is discovered the Manner of his setting out, hisDangerous Journey, and safe Arrival at the Desired Countrey.«
major« (PL 172, 1229–1242) hat als Basis eine – in Kap. 1 mit Schifffahrtsmetaphorikausgestaltete – Reise-Allegorie: Aus dem paradiesischen Vaterland sind wirverstoßen, und zu ihm können wir zurückkehren; die Artes sind in diesem Text abernicht von Belang.
Inspiriert ist die Allegorie von der Vorstellung der regio dissimilitudinis.9 In diesemGedanken-Cluster überlagern sich die Vorstellung der ursprünglichen similitudo desMenschen mit Gott (Gen 1,26), die Erzählung vom Auszug aus Ägypten ins GelobteLand und die Erzählung vom babylonischen Exil mit der Sehnsucht nach derRückkehr ins Heimatland, die Auslegung des Gleichnisses vom verlorenen Sohn, derin der regio longiqua sein Vermögen verprasst und dann zuhause wiederaufgenommen wird (Luk 15,11ff.), das Wort von den Fremdlingen (1Petr 2,11; Hebr11,14), die Auslegung des ersten Satzes im Gleichnis Luk 19,12 (homo quidam nobilisabiit in regionem longiquam accipere sibi regnum et reverti)10, die Auslegung derBemerkung, dass die magi auf einem anderen Weg in ihr Vaterland zurückgekehrtseien11, sowie das Gedankenschema von proodos und epistrophe des Neuplatonismus,der im 12. Jh. durch die Dionysius-Areopagita-Rezeption bekanntlich neu entfachtwird.
Textgrundlage ist die bei Migne PL 172,1243ff. abgedruckte Edition von Pez.12 Beim Präparieren hatlic. phil. Sandra Fenten unentbehrliche Vorarbeiten geleistet, wofür ich ihr an dieser Stelle danken
Margot SCHMIDT, »Regio dissimilitudinis«, Freiburger Zeitschrift für Philosophie undTheologie 15 (1968), S. 63–108. – Der Ausdruck wurde offenbar von AUGUSTIN geprägt, vgl. Confessiones VII,x,16. – Wo BERNHARD VON CLAIRVAUX den Gedanken verwendet (dediversis sermo 42,2 = PL 183,662), ist nichts davon zu spüren, dass die dissimilitudo mitintellektueller Anstrengung überwunden werden könnte; dazu dient bei Bernhard dasBeweinen der Sünden.
Meister ECKHART legt den Satz aus als Ausgang und Wiederkehr des edelsten Teils der Seelezu Gott (Predigt Vom edeln menschen).
Mt 2,12: per aliam viam reversi sunt in regionem suam als Rückkehr in das Paradies, woher wir
kommen, mittels eines anderen Weges als dem, der uns aus dem Paradies geführt hat, ist in der Exegese
Neuere Forschungsliteratur: Robert LUFF, Wissensvermittlung im europäischen Mittelalter. ›Imago Mundi‹-Werke und ihre Prologe, (Texte und textgeschichte 47), Tübingen: Niemeyer1999. – Marie-Odile GARRIGUES, Honorius Augustodunensis, De anima et de Deo, Quaedam exAugustino excerpta, sub dialogo exerata, in: Recherches Augustiniennes 12, (1977), 212-278. –Robert Darwin CROUSE, Honorius Augustodunensis: The Arts as Via ad Patriam, in: ArtsLibéraux et Philosophie au Moyen âge. Actes du IVe congrès international de philosophiemédiévale (1967) Montréal / Paris, 1969, S. 531–539.
möchte. Die noch stehen gebliebenen Fehler gehen auf mein Konto. Die Übersetzung und derKommentar sind unzulänglich, was die semantisch-grammatikalische wie auch die sachkundlicheDurchdringung betrifft. Das ist einerseits – insbesondere in Anbetracht der Gelehrsamkeit, die amMittellateinischen Seminar der Universität Zürich13 zu Hause ist – peinlich, anderseits eineschwierige Aufgabe, weil die Kommentierung eines solchen Texts ein enzyklopädisches Wissenerfordern würde. Aber es ist auch nicht so schlimm, denn der Duktus des Texts ist auch so gutsichtbar; und eine pedantische Würdigung des Textes wäre auch absurd.14 Honorius ruft dieBildungswerte kurz auf, um ihren Wert als Stationen auf dem Weg zum Heil darzustellen. DerKommentar ist nur eine Arbeitsgrundlage, um anzudeuten, was bei diesem Namedropping jeweilsgemeint ist. Wenn man an einigen Stellen Honorius’ Text mit möglichen Vorgängern vergleicht (z. B. Cassiodor), so ermisst man leicht, wie verkürzt er sich ausdrückt. Manchmal versteht man einTextstück, wenn man weiss, was gemeint ist (Beispiel: Das Sieb des Erathostenes in Kap. V). EinigeStellen blieben trotz aller Mühe unverständlich. Prologus: Thomae gratiam apostolici Prolog: Honorius dankt Thomas15, der den nominis sortito, multis donis SophiaeNamen des Apostels erhielt und der mit vieleninsignito Honorius illum in gloriaGaben der Weisheit ausgezeichnet worden war,Patris cernere, quem Thomas dubitans dafür, dass er jenen in der Herrlichkeit desmeruit in terris tangere.Vaters erblickte, den der ungläubige Thomas aufErden zu berühren würdig war.16Da du mit wachsamem Auge wahrnimmst, dassdie meisten sich sehr nach dem Vaterlanddesiderare, sed, utpote viae ignaros per sehnen, aber, weil sie den Weg nicht kennen,devia properare; hortaris me, optimevom rechten Weg abirrend dahineilen, mahnstvirorum, quasi peritum locorum hisdu mich, Bester!, ihnen – gleichsam als einviam demonstrare, ac viciniora locaOrtskundiger – den Weg zu zeigen und diestylo designare: ne forte longius anäher gelegenen Orte mit dem Griffelnachzuzeichnen: damit sie vielleicht nicht längervon der Königsstraße abirren, irrendzurückbleiben und sich immer mehr von dem
Das vorliegende Aufsätzlein möchte nicht gemessen werden an Heinrich Bullinger, Studiorumratio, hg. Peter Stotz (Teilbd. 1: Text und Übersetzung; Teilbd. 2: Einleitung, Kommentar,Register), Zürich: TVZ 1987.
Niemand käme heutzutage auf den Gedanken, D. Schwanitz’ Buch »Bildung« kommentierenzu wollen; es dient einzig dazu, an Originalwerke heranzuführen.
Gemeint ist der Widmungsträger mit Namen ›Thomas‹. Die Prologtexte des Honorius sindübersichtlich zusammengestellt bei Luff (1999), S. 20ff. und 463ff.
Der Apostel Thomas (vgl. Joh 20,24ff.) durfte den Auferstandenen berühren – Honorius durfteden in der Herrlichkeit Thronenden (in einer Vision?) sehen. Besteht die Gemeinsamkeit darin,dass beide nicht einfach naiv glaubten, sondern durch den Zweifel zum Glauben gekommensind? Inwiefern verdankt Honorius diese Gnade dem Widmungsträger?
Vaterland entfernen; so wie einst die ausmodo corpore, sed corde, longo tempore Ägypten Ausgezogenen, welche ihr Heimatlandin eremo erraverunt, et minime adsuchten, lange Zeit nicht nur mit ihrem Leib,sondern auch mit ihrem Herzen in der Wüsteirrten und keineswegs in das ersehnte Vaterlandgelangten.Ego autem cum invidia tabescente iterIch aber habe angesichts des zehrenden Neidskeine freie Bahn17 ; ich werde versuchen, dasexsequi tentabo, quosque studiosos per gütig Aufgetragene unermüdlich auszuführen. ignota loca ad notam patriamIch werde wen auch immer durch unbekannteGegenden ins bekannte Vaterland führen. Dietabidos, patria immeritos in tenebrisNeider, die Missgünstigen, die im Herzen Lauenwerde ich in der Finsternis ihrer Irrtümerzurücklassen, da sie das Vaterland nichtverdienen.Tu quoque, studio florens, ignavosDu, der du dich durch eifriges Strebenpraecede, et negligentes move, nolentes auszeichnest, schreite auch du den Unwissendencoge: volentes sed non valentes pervoraus, bewege die Nachlässigen, zwinge diedelectabile iter ad jucundam patriamUnwilligen! Ziehe jene, welche wollen, abertrahe: filios imo servos invidiae, etiamnicht allein können, den erfreulichen Wegsequi certantes repelle, et sanctumentlang in das ergötzliche Vaterland! Schlage diecanibus, gemmas18 porcis tolle (MtSöhne, ja Diener des Neides, welche sichbemühen euch zu folgen, zurück! Entreiss denHunden das Heilige, den Schweinen dieEdelsteine!CAP. I. Exsilium hominis Kap. I: Nichtwissen ist das Exil des ignorantia; patria est sapientia, ad Menschen; seine Heimat ist die Weisheit, zu quam per artes liberales, veluti per welcher man wie durch Städte durch die totidem civitates pervenitur. Artes liberales gelangt. So wie Babylon20 für das Volk Gottes das ExilBabylonia, Jerusalem vero patria, sicdarstellte, Jerusalem aber die wahre Heimat, so
Die Passage cum invidia tabescente iter non habebo ist nicht restlos klar. Im Rahmen eines Prologessind autobiographische Hinweise denkbar: Anfeindungen im Kloster? Vgl. die servi invidiaeweiter unten. – Zu invidia, schriftlicher Überlieferung (stylo) und Auftragstopos im Prolog beiHonorius liefert aufschlussreiche Informationen Luff (1999) S. 29ff. gemmas] Die Vulgata wie die älteren Fassungen haben margaritas. ist die Unwissenheit das Exil des innerenignorantia, patria autem sapientia. InMenschen, die Weisheit aber sein Vaterland.Die, welche sich in Unwissenheit befinden,tenebrosa regione commorantur, undehalten sich gleichsam in einem finsteren Gebietet filii tenebrarum (1 Thess 5,4 )auf, woher auch die Söhne der Finsternisbenannt sind. Die in der Weisheit Angesiedeltenbleiben (werden gerettet) gleichsam in einemconversantur, ideo et filii lucis (ibid.)hellen Gebiet, daher werden sie auch Söhne desappellantur. De hoc exsilio ad patriamLichtes genannt. Der Weg, der aus dem Exilvia est scientia, scientia enim in rebushinaus in die Heimat führt, ist die Wissenschaft;physicis: sapientia vero consideratur in die Wissenschaft ist nämlich für die Erforschungdivinis.der die Natur betreffenden Dinge zuständig, dieWeisheit aber für die göttlichen Dinge.Dieser Weg darf nicht mit körperlichenpassibus corporis, sed affectibus cordis. Schritten, sondern muss mit den aus demHaec quippe via ducit ad patriamHerzen kommenden Gefühlen beschrittentendentes per decem artes, et libros sibi werden. Er führt die ihrer Heimat Zustrebendenadhaerentes, et quasi per totidemdurch zehn Künste und ihnen zugehörigecivitates et villas sibi servientes.Bücher beziehungsweise gleichsam [allegorisch]durch ebenso viele Städte und ihnen dienstbareGebäude.
Schon bei Paulus (2 Kor 4,16; Rom 7,22) ist homo interior mehrdeutig. Vgl. ChristophMARKSCHIES, Artikel »Innerer Mensch«, in Reallexikon für Antike und Christentum, Band 18(1998), Sp. 266–312 und Robert JAVELET / André DERVILLE, Artikel »Homme intérieur« in:Dictionnaire des Spiritualité, VII/1 (1969), 650–674. – Im 12. Jh. und an dieser Stelle ist gemeint:derjenige Seelenteil, der eine Affinität zu den transzendenten Dingen hat.
Friedrich OHLY, Metaphern für die Sündenstufen und die Gegenwirkungen der Gnade,(Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Vorträge G.302), Opladen 1990, S.126ff. kommt auf die Wegmetapher Jerusalem – Babylon zu sprechen. Qui numerus multis sacramentis estDiese Zahl22 steckt in vielen geheimnisvolleninvolutus. Nam et divina lex decemDingen. Denn sowohl das göttliche Gesetzenthält zehn Vorschriften, als auch die weltlichesaecularis sapientia decem categoriisWissenschaft zehn Kategorien. Aber auch dieincluditur. Sed et tota Ecclesia decemganze Kirche wird mit zehn Jungfrauen (Mt25,1ff.) verglichen. Weil diese Zahl die Grenzealler mehrstelligen Ziffern darstellt, darum wirdden im Weinberg Arbeitenden ein Zehner (Mtunde et in vinea laborantibus denarius 20,1ff.) versprochen. repromittitur.CAP. II. De prima civitate, Kap. II: Von der ersten Stadt, der grammatica. Grammatik Prima itaque civitas est grammatica,Die erste Stadt, durch welche man also dieper quam petenda est patria: hujusHeimat anstreben muss, ist die Grammatik. Ihrporta est vox quadrifida23, per quamStadttor ist der in vier Teile gespaltene Laut; deriter est littera tripartita24: quaeWeg hindurch ist der dreigeteilte Buchstabe,vocalibus, semi vocalibus, mutis, ducit welcher mit Vokalen, Halbvokalen und denad sententiarum habitacula. PorroMitlauten zum Wohnort des Satzes führt.Ferner sind die produzierten oder abgekürztendictionum, sunt quasi quaedam ostiaSilben des Ausdrucks gleichsam die Eingängedomorum: haec urbs in octo partes25der Häuser. Diese Stadt ist in acht Teile, welchequasi in totidem regiones distribuitur, gleichsam Regionen bilden, geteilt. Diese Zahlqui numerus et humanam locutionemhic numerus limes] Heinz MEYER, Die Zahlenallegorese im Mittelalter: Methode und Gebrauch,(Münstersche Mittelalter-Schriften, 25), München 1975, S. 142 zitiert und kommentiert diesStelle ».d. h. begrenzende Zahl, die das dekadisch aufgebaute Zahlensystem ordnet«. – DerAbacus im Buch über die Grammatik des (Pseudo-?)Boethius verwendet bereits die arabischenZahlen und erklärt sie.
Heinz MEYER / Rudolf SUNTRUP: Lexikon der mittelalterlichen Zahlenbedeutungen,(Münstersche Mittelalter-Schriften, 56), München 1987, Sp.595 zitieren diese Stelle und deutendie Zehn als offensichtliche Summe von sieben plus drei. – Die mathematische Begründung derVollkommenheit der Zehnzahl wird schon ausführlich diskutiert bei PHILO VONALEXANDRIEN, Über den Dekalog, §§ 20–32.
Donati ars maior I.1: Vox est aer itus –Warum viergeteilt?
Donati ars maior I.2: Littera est pars minima vocis articulatae.
DONAT erklärt in seiner »ars maior«, dass es acht partes orationis gibt. So auch CASSIODOR,Institutionum liber II,1: partes autem orationis sunt octo: nomen pronomen verbum adverbiumparticipium coniunctio praepositio interiectio.Seligpreisungen der Seelen. In ihr (= der Stadt)complectitur. In hac nomen et verbumherrschen die Nomen und Verben wie zweiKonsule. Das Pronomen vertritt den Prokonsul,das Adverb bietet sich als Praefekt an. Dieanderen Teile passen mit anderen Ämternzusammen. Ihnen dienen die Genera und Kasus,dignitatibus coaptantur, quibus genera die Tempora und die anderenet casus, tempora et aliae species quasiFlektionsbedingungen gleichsam alsIn dieser Stadt bringen DONAT und PRISCIAN27den Reisenden eine neue Sprache bei und führencertis regulis deducunt per viam addie Wandernden mit sicheren Regeln den Wegzur Heimat. Dieser Stadt sind als Dörfersubditae, sunt libri poetarum, qui inunterstellt die Bücher der Dichter, welche in vierquatuor species dividuntur, scilicet inGattungen28 unterteilt sind, und zwar intragoedias, in comoedias, in satyrica,Tragödien, in Komödien, in Satiren und inin lyrica. Tragoediae sunt quae bellaLyrik. Tragödien sind die Bücher, welche vontractant, ut Lucanus. Comaediae sunt, Kriegen handeln, wie (die von) LUCAN. quae nuptialia cantant, ut Terentius.Komödien die, welche Hochzeitsdinge besingen,Satyrae, quae reprehensiva scribunt,wie (die des) TERENZ. Satiren, welche tadelndut Persius. Lyrica, quae odas, id estschreiben, wie (die des) PERSIUS. Lyrik, welcheOden, das heisst das Lob der Götter oder derKönige, mit hymnischer Stimme wiedergeben,wie (die des) HORAZ.CAP. III. De rhetorica, altera Kap. III: Von der Rhetorik, der zweiten civitate. Stadt Secunda civitas est rhetorica, per quam Die zweite Stadt, durch welche man sich deradeunda est patria: hujus porta estHeimat nähert, ist die Rhetorik. Ihr Stadttor istcivilis cura, iter vero tripartitumdie Sorge für das Gemeinwohl, der Weg
Matthäus (5,3ff) kennt acht Seligpreisungen im Gegensatz zu Lukas (6,20ff).
ÆLIUS DONATUS, Grammatiker des 4. Jhs. n. Chr.; PRISCIAN, Grammatiker des 6. Jhs. In der»ars maior« des Donat bilden vox, littera, syllabae der Reihe nach die ersten Themen.
Es folgt eine Zuordnung von Gattungen zu Musterautoren. Die vier Gattungen komische /tragische / satirische / lyrische Dichtung und weitere kennt bereits ISIDOR, EtymologiaeVII,vii, 4, 5, 6, 8; wobei er aber Lucan nicht unter die Poeten zählt. Auch im Vergleich mit demälteren BERNHARD VON UTRECHT († 1099) ist Honorius hier sehr karg. hindurch aber sind die drei Redegattungen, undzwar das Genus demonstrativum, das Genusjudiciale. In una parte hujus civitatisdeliberativum und das Genus iudiciale. In demeinen Stadtteil stellen die Bischöfe die Dekretecomponunt, in altera reges et judicesder Kirche zusammen, im anderen geben dieHerrscher und Richter Edikte öffentlich bekannt.Hier wird zur Synode Gehöriges veröffentlicht,dort forensisches Recht behandelt. In dieseritinerantes ornate loqui instruit,Stadt unterrichtet TULLIUS [Cicero] diequatuor virtutibus scilicet prudentia,Reisenden darin, kunstvoll zu reden. Anhandfortitudine, justitia, temperantia mores der vier Tugenden, und zwar Klugheit,componit. Huic urbi subjacentTapferkeit, Gerechtigkeit und Mäßigung, stellthistoriae, fabulae, libri oratorie eter die Sittenregeln zusammen. Dieser Stadt sindethico conscripti, per quos gressusGeschichten30 und Fabeln dienstbar, rhetorischund ethisch abgefasste Bücher, durch welche dieSchritte des Geistes ins Heimatland gelenktwerden müssen.CAP. IV. Dialectica, tertia civitas. Kap. IV: Dialektik, die dritte Stadt Tertia civitas est dialectica, multisDie dritte Stadt ist die Dialektik31, befestigt durch dievielen Schutzmauern von Fragen, durch welche der Wegper quam iter est ad patriae atria. Haec zu den heimatlichen Wohnungen führt. Diese empfängtper quinque portas adventantes recipit, die Ankömmlinge durch fünf Tore, und zwar diescilicet per genus, per species, perGattung, die Art, das Unterscheidende, das Typischedifferens, per proprium, per accidens;und das Zufällige; darum werden sie auch ›Isagogen‹,Einführungen, genannt, weil durch sie diedicuntur, quia per has repatriantesHeimkehrenden hineingeführt werden. Die Stadtburg ist
Es muss causarum heissen, vgl. zu den drei Gattungen der Redegegenstände: Ad HerrenniumI.2: Tria genera sunt causarum quae recipere debet orator: demonstrativum, deliberativum,iudicale. CASSIODOR, Institutiones II,ii,3: Genera causarum rethoricae sunt tria principalia […]demonstrativum genus est cum aliquid demonstramus, in quo est laus et vituperatio. deliberativumgenus est in quo est suasio et dissuasio. iudiciale genus est in quo est accusatio et defensio, vel praemiipetitio et negatio.
Mit den Geschichten sind wohl Exempla-Sammlungen im Stile des Valerius Maximus gemeint.
Boethii »in Porphyrium dialogi a Victorino translati«, Dialogus primus bietet die zwei Titel Degenere (PL 64, 22B) und De specie (PL 64, 37B), Dialogus secundus: De differentia (PL 64, 47B), Deproprio (PL 64, 54D) und De accidenti (PL 64, 55C); anschließend ist von den kategorischen undhypothetischen Syllogismen die Rede. – Möglich, dass sich Honorius an Titeln vonAbhandlungen des Boethius entlanghangelt. introducuntur. Arx hujus urbis estdie Substanz. Die neun32 Türme sind die Akzidenzien.In ihr befinden sich zwei Faustkämpfer und trennenStreitende mit sicherer Vernunft: Sie schützen diepugiles sunt et litigantes certa rationeReisenden mit kategorischen und hypothetischendirimunt: cathegorico et hypotheticoSyllogismen wie mit vorzüglichen Waffen.ARISTOTELES33 nimmt sie in die »Topik« auf, rüstet sieviantes muniunt. Quos Aristoteles inmit Argumenten, führt sie in »Peri Hermeneias« zumtopica recipit, argumentis instruit, inweiten Feld der Syllogismen. In dieser Stadt werden dieReisenden darin unterrichtet, Häretikern und anderenFeinden mit den Waffen der Vernunft zu widerstehen,docentur itinerantes haereticis, et aliisdie sich ihnen, wie einst Amalek dem Volk Gottes, aufhostibus armis rationis resistere, quieis, ut olim Amalec populo Dei, in hacvia moliuntur obsistere (Exod 17,8ff.).CAP. V. Quarta civitas Kap. V: Die vierte Stadt, die Arithmetik arithmetica. Quarta civitas est arithmetica, perDie vierte Stadt ist die Arithmetik, über welchequam quaerenda est patria. In hac,die Heimat aufzusuchen ist. In dieserBoetio docente, par et impar numerusumschlingen sich gerade und ungerade Zahlmultipliciter se complicant. Cribrum34 vielfach, so wie BOETHIUS lehrt. Das ›Sieb‹simplices numeros per multiplicesschüttelt die Primzahlen mittels der Vielfachenheraus. Der Abacus multipliziert … in die einedigitos, et articulos eundo multiplicat,Richtung, dividiert in die andere …redeundo dividit, minutiis monadem
Neun Akzidentien bei Isidor, Etymologiae II,xxvi,13
Es wird Bezug genommen auf die als »Organon« zusammengefassten logischen Schriften desARISTOTELES, die das Mittelalter durch die Vermittlung des Boethius (480 – 524) kannte. Crouse (1969) weist darauf hin, dass es sich um einen frühen Beleg für die Kenntnis vonAristoteles’ Topik handelt. Cribrum: das ›Sieb‹ des Erathostenes (ca. 284– ca. 202) ist ein Algorithmus zur Auffindung vonPrimzahlen: Man gibt alle Zahlen in ein ›Sieb‹ und entfernt nach und nach jene Zahlenwerte,die Vielfache von anderen sind. Die übrig bleibenden Zahlen sind die Primzahlen. – Simplicessind nach Isidor Etymologiae III,v,7 die Primzahlen im Gegensatz zum multiplex numerus(V,vi,5).
Über das Rechnen mit dem Abacus orientiert die Website von Benjamin J. WRIGHTSON (1996)und diejenige von P. FEISTHAMMEL (educeth.ch). ODO (»Super abacum« PL 133, 807–814):quod quidquid infra X est, digitus vocatur; quod vero ad X vel ad majores numeros pervenit, inhac arte articulus apellatur.in mille particulas redigit. In hacDas Zahlenkampfspiel fordert gerade undungerade Zahlen zum Wettkampf auf.Scachos37 certo numero in certamenordinat, tabula jactis tesseris senariaIn der Schule dieser Stadt lernt der Reisende,sorte congregat. In hujus urbis scholadass Gott alles nach Maß, Zahl und Gewichtmensura et numero et pondere (Sap11,21) disposuit.CAP. VI. Quinta civitas Kap. VI: Die fünfte Stadt der zur Weisheit pergentium ad sapientiam Voranschreitenden ist die Musik. musica.38 Quinta civitas est musica, per quamDie fünfte Stadt, durch welche man zu dentransitus est ad patriae cantica. In hacLiedern der Heimat gelangt, ist die Musik. Inurbe per Boetii doctrinam hinc chorusdieser Stadt frohlockt auf der Grundlage derviris gravibus, inde puerilis acutisLehre des Boethius der Chor – hier der Männervocibus Deo jubilat: organa fistulis,mit den tiefen Stimmen, dort der Knaben mitcitharae fidibus concrepant, cymbaladen hohen Stimmen – Gott. Die Orgeln ertönendurch Pfeifen, die Zithern erklingen durchvoces consonam harmoniae efficiunt.Saiten, die Zimbeln erschallen durch dasTriplex modulatio, quae fit flatu, tactu, Schlagen. Sieben unterschiedliche Töne bewirkenpulsu,40 septem consonantiis senariiden Zusammenklang der Harmonie. Diedreifache [ausgewogene musikalische]Rhythmomachia, Pugna numerorum. Das Spiel, bei dem die gegnerischen Steine mit Hilfe vonRechenoperationen erobert werden, entstand Anfang des 11. Jahrhunderts und war eineakademisch geduldete Memorierhilfe für die Zahlentheorie des Boethius; Edutainment also. Vgl. Arno BORST, Das mittelalterliche Zahlenkampfspiel, Heidelberg: Winter 1986 (553 S.!). Weitere Literatur im Lexikon des Mittelalters s.v. sowie bei Peter MEBBEN:http://jducoeur.org/game-hist/mebben.ryth.html
Die Stellung der Musik an dieser Stelle im Quadrivium entspricht der Reihenfolge bei ISIDOR,Etymologiae I,ii,2–3: Quarta arithmetica, quae continet numerorum causas et divisiones. Quintamusica, quae in carminibus cantibusque consistit. Sexta geometrica, quae mensuras terraedimensionesque conplectitur. Cassiodor hat dieselbe Reihenfolge.
ISIDOR, Etymologiae III,xx,3: Symphonia est modulationis temperamentum ex gravi et acutoconcordantibus sonis, sive in voce, sive in flatu [sic apud Lindsay], sive in pulsu. CASSIODOR,Institutiones II,v,6: Instrumentorum musicorum genera sunt tria: percussionalia - tensibilia - inflatilia.continentem, concinit: dum intervallis Bewegung, welche durch Blasen, Tasten,et proportionibus tonorum dulce melos Schlagen zustande kommt, stimmt überein mitreddit.41 In hac urbe docentur viantesder Würde des Hexachords durch die siebenKonsonanzen, die Gesamtheit [der Welt]enthaltend, solange sie durch Intervalle undProportionen der Töne eine heilbringendeMelodie hervorbringt. In dieser Stadt werden dieReisenden angeleitet, durch den Wohlklang derSitten zum Zusammenklang des Himmels zugelangen.CAP. VII. Civitas sexta geometria. Kap. VII. Die sechste Stadt, die Geometrie Sexta civitas est geometria, per quamDie sechste Stadt, über welche die Heimataufgesucht wird, ist die Geometrie. In dieserbreitet ARATUS42 die Weltkarte aus, auf welcherer Asien, Afrika und Europa zeigt. Er zähltmontes, urbes, flumina totius orbisBerge, Städte und Flüsse der ganzen Welt auf,enumerat, per quae itinerantes transire durch welche er die Reisenden zu gehen erinnert. commemorat.CAP. VIII. De astronomia, civitate Kap. VIII: Von der Astronomie als der septima. siebten Stadt Die siebte Stadt, welche zum heimatlichendeducit ad patriae habitacula. In hacWohnort führt, ist die Astronomie. In dieserHyginus per astrolabium incrementaStadt zeigt HYGINUS43 durch sein Astrolabiumac decrementa lunae, anfractus, solisdie Zu- und Abnahme des Mondes, dieKreisbahn, den Hin- und Zurücklauf der Sonneostendit, sphaeram evolvit: in quaund studiert den Himmelsglobus. In dieser Stadt
Diese Passage zu übersetzen, ist man als musikwissenschaftlicher Laie chancenlos. Ich dankeKollegen Max Lütolf für seine freundschaftliche Hilfe. Wie komplex die Materie ist, zeigt alleinschon der Artikel von Christoph von Blumräder, »Modulatio«, in: Hans Heinrich Eggebrecht,Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, Stuttgart: Steiner, 1972ff.
Gemeint ist ARATOS VON SOLOI (3. Jh. vor Chr.), der ein astronomisches Lehrgedicht verfassthat. Die drei Weltteile kennen wir von den sog. T-O-Karten.
HYGIN (64 – 17), Verfasser eines astronomischen Werkes (v.a. Sternsagen). Astrolabium:astronomisches Instrument zur lagemäßigen Bestimmung von Gestirnen. Zodiakus: dieZusammenstellung der beiderseits der Ekliptik liegenden 12 Tierkreiszeichen. signa zodiaci ac caetera monstra coelibeschreibt er die Zeichen des Zodiakus und dieper distantes stellas depingit. In hacanderen Wahrzeichen des Himmels mitJulius computum explicat, per quemRücksicht auf die Entfernungen der Gestirne. Indieser Stadt erklärt JULIUS44 die Berechnung(der Feste; das Handbuch der Zeitrechnung), mitcollisione sua dulciter persultant,deren Hilfe er die Weltjahre anhand der Herr-atque viantes ad laudem Conditorisscherreihe ausrechnet. In dieser Stadt hüpfenzusammenstoßend die Himmelskörper sanftumher und spornen die Reisenden zum LobeGottes an.CAP. IX. Physica, civitas octava. Kap. IX: Physiologie, die achte Stadt Octava civitas est physica per quamDie achte45 Stadt, durch welche man der Heimatzustrebt, ist die ›Physiologie‹. In dieser StadtHippocrates viatores vires et naturasbelehrt HIPPOKRATES die Reisenden über dieKräfte und Natur von Pflanzen, Bäumen,animalium; et per medelam corporumSteinen und Lebewesen, und über dieHeilung/Heilmittel für den Körper führt er zumHeil der Seelen.CAP. X. De mechanica, civitate Kap. X: Von der Mechanik, der neunten nona. Stadt Nona civitas est mechanica, per quamDie neunte Stadt, durch welche man sich dersubeunda est patria, haec doces viantes Heimat zu nähern hat, ist die Mechanik. Sieomne opus metallorum, lignorum,belehrt die Reisenden über allen Nutzen derMetalle, der Hölzer, der Marmorarten und vorallem über Gemälde, Skulpturen und alleKünste, welche Handarbeit bedeuten. Sie(Gen 10,8–12) erexit, haec templumerrichtete den Turm des Nemrod und sieSalomonis construxit. Haec arcam Noe konstruierte den Tempel Salomons. Sie baute die
Zur Überschreitung der klassischen Siebenzahl der Artes: Honorius ergänzt mit Physica,Mechanica, Oeconomia. Des Honorius Disposition passt in keines der Schemata, die MartinGRABMANN, Geschichte der scholastischen Methode, 2 Bde., Freiburg: Herder 1909/11 (bes. II, 28ff.) oder L. GOMPF, Der Leipziger ›Ordo artium‹, in: Mittellateinisches Jahrbuch 3 (1966),S. 94–128 verzeichnen. Oekonomie, Medizin und Mechanik kommen auch in Hugos von SanktViktor »Didascalicon« vor, sind dort aber systematisch ganz anders eingebunden. Der Hinweisvon Crouse (1969) auf die Wissenschaftseinteilung bei Johannes Scotus führt in die Irre. et omnia moenia totius orbis instituit,Arche Noah und die Stadtmauern auf deret varias texturas vestium docuit.ganzen Welt, und sie lehrte verschiedeneWebarten für die Kleider.CAP. XI. Oeconomica, civitas Kap. XI: Oekonomie, die zehnte Stadt decima. Decima civitas est oeconomica, perDie zehnte Stadt, durch welche man in diequam pervenitur ad patriae atria. Haec heimatlichen Atrien gelangt, ist die Oekonomie. disponit regna et dignitates, haecSie ordnet Regierungen und Ämter; siedistinguit officia et ordines. Haec docet unterscheidet Berufe und Stände. Sie lehrt die inad patriam properantes juxta ordinemdie Heimat Eilenden, dass die Menschen ihremVerdienste nach in die Engelsordnung eingeteiltCAP. XII. Decursis artibus Kap. XII: Nachdem die Artes liberales liberalibus pervenitur ad patriam, durchlaufen sind, gelangt man in die seu veram sapientiam, in divinis Heimat. d.h. zur in der göttlichen Schrift Scripturis relucentem, et in visione leuchtenden und im Anblick Gottes Dei perfectam. vollkommenen wahren Weisheit. Nachdem die Artes wie Städte durchgangensind, gelangt man zur heiligen Schrift, wie in dieScripturam quasi ad veram patriam, in wahre Heimat, in welcher die vielfältige Weisheitqua multiplex sapientia regnat. Quaeherrscht. Diese baut sich mittels der Schrift einScriptura sibi domum aedificat, quamHaus46, welches sie mit den sieben Gaben desseptem donis Spiritus sancti (Is 11,2ff.; heiligen Geistes wie mit sieben Säulen stützt. Sie1 Cor 12,7–11) ut septem columnisverbindet es in seinen vier Wänden mit demroborat (Prov. 9,1): quadripartitoviergeteilten Verständnis, und zwar demhistorischen, dem allegorischen, demcopulat, scilicet historico, allegorico,tropologischen und dem anagogischen. Historietropologico, anagogico. Historia quippe ist nämlich das Ereignis, wie: ›Jerusalem47 war
Zur Haus-Metaphorik vgl. Friedrich OHLY, Artikel »Haus III (Metapher)« in: Reallexikon fürAntike und Christentum Band 13 (1986), Spalte 905–1063. Jerusalem als Paradigma zur Demonstration der vier Schriftsinne: Henri DE LUBAC S.J., Exégèsemédiévale: Les quatre sens de l’Ecriture. 4 Bde. Paris: Aubier 1959-1964, 1/II, p. 646 verweistauf CASSIAN Collationes 14,8 = Sources Chrétiennes 54,190f., BEDA, in Cant PL 91,1142AB,HRABAN PL 112,331C, SEDULIUS SCOTTUS PL 103,191A, GUIBERT VON NOGENT, Liber quoordine sermo fiat PL 156,26A, GUIBERT VON NOGENT, De claustro animae PL 176,1131–1132,
est res gesta, ut: Hierusalem fuitdie Stadt der Juden, in welcher der Tempel desHerrn stand.‹ Allegorie ist es, wenn etwastemplum Domini. Allegoria est cum,anderes verstanden wird, als was gesagt ist, wie:aliud dicitur, aliud intelligitur, ut:›Jerusalem ist die Kirche, wir selber der Tempeldes Herrn.‹ Tropologie ist der moralische Sinn,wie: ›Jerusalem ist die gläubige Seele, der Tempel[in der Stadt] ist das reine Herz und derHierusalem est anima quaeque fidelis,Bewohner der heilige Geist.‹ Anagogie aber istder höchste, zu Gott und zur zukünftigen Zeithabitator Spiritus sanctus. Anagogeführende Sinn, wie: ›Jerusalem ist dievero est superior sensus ducens adhimmlische Stadt, in welcher die Heiligen mitden Engeln vereint Gottes AnwesenheitHierusalem est superna civitas, in qua genießen. ‹sancti angelis conjuncti Deumhabebunt praesentem (Apc 21).In diesem Haus bereitet die Weisheit49 den zuvenientibus convivium praeparat, quos ihr Kommenden ein Gastmahl und sie sättigt dievariis ac deliciosis ferculis satiat.Kommenden mit verschiedenen herrlichenGängen. Zuletzt führt sie die Gäste in dasintroducet, in qua rex gloriae in decore himmlische Jerusalem, in welchem man densuo videbitur, cujus pulchritudinemKönig des Ruhmes in seiner Herrlichkeit sieht,sol et luna mirantur. In hac novemdessen Schönheit Sonne und Mond bewundern.In dieser Stadt hören neun Engelsscharen50nicht auf, den König der Könige zu lobpreisen,insatiabiliter desiderant prospicere. Inwelchen sie unersättlich anzublicken wünschen.In dieser Heimat deuten die Patriarchenfiguris praesignant, prophetae scriptisChristus in Figuren voraus, sagen Prophetenihn durch Schriften voraus, predigen die Apostelihn der Welt mit Zeichen und Tugenden, opferndie Märtyrer ihm ihr Blut und beten ihn die ihreKeuschheit darbringenden Jungfrauen an. Indieser Heimat steigen Eifrige auch auf den Bergder Kontemplation, auf welchem sie Christuszwischen Moses und Elias in strahlend weissemGewand, glänzend wie die Sonne erblicken, weilsie mit Hilfe der heiligen Schrift und derconspiciunt (Mt 17, 1–8 parr.): quia48sichtbaren Welt, welche sein Kleid sind,51
GUIBERT VON NOGENT, Miscellanea PL 177, 645B. 670–71. 674AC, Pseudo-HUGO PL 177, 999Aund spätere Autoren.
Ein exegetisches quia, das zwischen dem Litteralsinn und dem geistlichen Sinn vermittelt. verstehen, dass er der Richter der Lebenden undToten ist, der dem Vater Gleichgestellte.Scripturam, et visibilem creaturam,quae sunt vestes ejus, intelligunt.CAP. XIII. Deus a sanctis Kap. XIII: Gott wird von den Seligen ihren secundum singulorum virtutes besonderen Tugenden entsprechend gesehen. videbitur. Folgendes zu bedenken heisst Himmlisches zucontemplari: carne vero exuta haecbetrachten. Es vom Fleische losgelöst vonfacie ad faciem (Exod 33,11 cf. 1 CorAngesicht zu Angesicht zu schauen heisst, sich13,12) videre, est in coelesti regnoam Himmelreich zu ergötzen. In diesem abergibt es viele Aufenthaltsorte, das heisst vielfachegöttliche Erscheinungsarten: in ihnen werdenmultiplices divinae apparationes: indie Seligen den Gott der Götter in Sion – dasquibus sancti Deum deorum in Sion,heisst in göttlicher Schau – erblicken, wenn sievon Tugend zu Tugend schreiten, entsprechenddem Ausspruch: die Guten werden Gottvirtutem ibunt, verbi gratia: bonischauen, gemäss dem, was Güte heisst; dieGerechten, gemäß dem, was Gerechtigkeit heisst;dicitur, videbunt; justi, secundum hocdie Weisen, gemäß dem, was Weisheit heisst; die
Hier scheint ein Gnadenmoment auf: Die auf den Artes fußenden Anstrengungen sindoffensichtlich nur notwendig, aber nicht hinreichend für die Teilnahme am Gastmahl derHimmlischen.
Neun Engelschöre: Eckart Conrad LUTZ, »In niun schar insunder geordent gar.«Gregorianische Angeologie, Dionysius-Rezeption und volkssprachliche Dichtungen desMittelalters, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 102 (1983), S. 335–376. vestes] Crouse (1969) verweist auf eine Stelle des JOHANNES SCOTUS, wo die vestimenta Christibei der Verklärung auf dem Berge Tabor allegorisch ausgelegt werden als divinorum eloquiorumlitera und visibilium rerum species sensibilis (Periphyseon III,35 = PL 122,723D). Als Verfasser der»Clavis Physicae«, einem Exzerpt aus Johannes Scotus, war Honorius mit dessen Denkenvertraut. Es wäre interessant, die Exegesegeschichte dieser Stelle zu kennen. Vgl. zurVorstellung der Welt als Mantel Gottes: Robert EISLER, Weltenmantel und Himmelszelt. Religionsgeschichtliche Untersuchungen zur Urgeschichte des antiken Weltbildes, 2 Bde.,München 1910.
Die Etymologie von Sion begegnet bei ISIDOR, Etymologiae VIII, i,5: Pro peregrinatione autempraesenti Ecclesia Sion dicitur, eo quod ab huius peregrinationis longitudine posita promissionem rerumcaelestium speculetur; et idcirco Sion, id est speculatio, nomen accepit. – Ferner bei HRABAN, deuniverso, XIV,1 = PL 111,379): Sion specula siue contemplatio interpretatur, et significat aecclesiamsiue animam fidelem, siue caelestem patriam.quod justitia; sapientes, secundum hoc Friedfertigen, gemäß dem, was Frieden heisst,quod sapientia; pacifici, secundum hoc und endlos werden ihn andere durch anderequod pax (Mt 5,9), et alii aliisvirtutibus in infinitum visuri sunt.CAP. XIV. Deus a nemine Kap. XIV: Gott kann von niemandem comprehendi nisi a seipso potest. begriffen werden ausser von sich selbst. Er Beatos Dei visio recreabit wird den Seligen in Ewigkeit eine aeternum; impios patratorum Anschauung Gottes schaffen; die Frevler scelerum recordatio sine fine wird er ohne Ende mit der Erinnerung an torquebit. begangene Vergehen quälen. Secundum hoc autem, quod exsuperatInsofern aber, als er jedes Begriffsvermögenomnem intellectum, Deum nemo viditübersteigt, hat niemand jemals Gott gesehenoder wird ihn jemals sehen, weil niemand dennemo novit Patrem nisi Filius, necVater kennt, ausser der Sohn, und niemand denFilium quis novit nisi solus Pater (MtSohn kennt, ausser allein der Vater. Was auchimmer den Vätern von Gott gezeigt worden ist,Deo ostensum est, Deus dicitur; sicutnennt man Gott; so wie bei Jakob: Ich habe denHerrn von Angesicht zu Angesicht geschaut.Und auch bei Moses: Es sprach Moses mit demHerrn von Angesicht zu Angesicht, wie einDomino facie ad faciem, quasi amicusFreund mit dem Freunde. Und ebenso deramico (Exod 33,11). Et item propheta:Prophet [Jesaias]: Ich sah den Herrn auf einemVidi Dominum sedentem super solium erhabenen Thron sitzend usw. excelsum, etc. (Is 6,1).Die reinen Herzen aber werden Gott in derin Sion, id est in divina speculationeZukunft in Sion sehen, das heisst in einerGottesschau, nach dem, was jedem erscheint,apparebit, quando suis dilectoribuswenn er sich selbst denen, die ihn lieben,offenbart; denn jeder einzelne wird in sich undin jeder Kreatur Gott nach seinem Maße sehen,da Gott in allen alles sein wird. Die, welche indas Vaterland gelangen, werden den König desRuhms, der ihre Ergötzung sein wird, wie dasperveniunt, hoc modo Regem gloriae in Licht für die Augen, auf diese Weise in seinerdecore suo videbunt, qui erit gaudiumQui autem transitoriis oblectati inDiejenigen aber, die ergötzt von Vergänglichemim Exil verharrten, werden in äusserstetenebras subibunt, et ut saucii oculi53Finsternis fallen und wie kranke Augen dasewige Licht in Ewigkeit fliehen. Doch werdenrefugiunt. Sed eis variae et multiplices ihnen ihre unterschiedlichen und vielfachenvitiorum phantasiae, ut truces bestiae, Laster als Phantasiebilder54, wie hässlicheoccurrunt, quas semper voluntMonster, begegnen, welchen sie immereffugere, sed non valent evadere; quiaentrinnen wollen, doch nicht zu entkommenaliae prae aliis semper se ingerunt, etvermögen; denn andere drängen sich immer vorin immensum barathrum tristitiae etsie und tauchen sie in einen unermesslichenAbgrund von Traurigkeit und Verzweiflung.In his te exerce, haec alios doce: ut ista Darin übe dich und lehre es andere: damit duevadas, ad illa pervenias. Amen.diesem (= dem Exil) entfliehst und in jenes (=das Vaterland) gelangst. Amen.Decursis artibus liberalibus pervenitur ad […] veram sapientiam (Kap. XII). Mit demAblativus absolutus ist nichts Genaues ausgesagt über die Relation zwischen artesund der sapientia (vgl. Kap. I und XII). Am Schluss jedes Kapitels wechselt Honoriusganz sachte das Register von der Beschreibung des Wissensgebiets zum Thema dergeistlichen Heimreise, vgl. den Ausdruck per medelam corporum deducit ad medelamanimarum (Kap. IX). Der Wechsel wird metaphorisch realisiert, bleibt im Poetischen,so wie auch insgesamt das akademische Curriculum und die geistliche Heimreiseallegorisch aufeinander bezogen sind. Einmal mehr wird deutlich, dass der Gedanke›per materialia – ad spiritualia‹ im 12. Jahrhundert von großer Bedeutung ist, unddass man in diesem Jahrhundert ›symbolisch‹ argumentiert. (Spätere Jahrhundertewerden das symbolische Denken desavouieren, wiewohl sie ihm verhaftet bleiben.) –Einige Fragen drängen sich anbetrachts der zeitgenössischen Problematiken (vitaactiva / contemplativa; fides / intellectus) auf:
Haben die Artes einen Wert zur Befriedigung weltlicher Bedürfnisse? (Die mensch-lichen Handlungen dienen, so sagt Hugo, auch dazu, ut huius vitae necessitudiniconsulatur.) Honorius erwähnt bei den Artes Physica, Mechanica, Oeconomia immerhineinige Nutzanwendungen (Heilmittel, Stadtmauern, Gewaltentrennung), sonstscheint alles hingeordnet auf das Ziel: die Rückkehr zur Heimat in Sion. Was heisstaber das?
Vgl. AUGUSTINUS, Confessiones VII,xvi,22: das Licht, das dem gesunden Auge süß ist, ist demkranken widerwärtig.
Hier fasst Honorius die Höllenqual als Gewissenspein auf; im »Elucidarium« (III,4 = PL172,1159f.), das viel berühmter wurde, leiden die Hölleninsaßen ganz konkret leiblich.
Stehen die Artes in einem propädeutischen Verhältnis zum Verständnis der heiligenSchrift? AUGUSTINUS hatte in seiner »Doctrina christiana«55 die heidnischen Künste –abwägend, welche nützlich, welche zu verschmähen seien, – für die Auslegung undVerkündigung in Dienst genommen: Auf die geistige Vernunfterkenntnis bezogeneWissenschaften, nämlich die Dialektik (d. c. II,xxxi,48 – xxxv,53), Rhetorik (xxxvi,54),Mathematik (xxxviii,56f) sowie auch auf die Sinneswahrnehmung und Erfahrungbezogene Wissenschaften, zum Beispiel Geschichtswissenschaft (d.c. II,xxviii,42)oder Naturwissenschaften (xxxix,45) werden von den Christen ›gebraucht‹. Augustin führt an Auslegungsproblemen vor, dass Mangel an Kenntnissen vieleStellen dunkel erscheinen lässt. Honorius zeigt keine solchen Zusammenhänge,dafür ist sein Text wohl auch zu skizzenhaft.
Was sollen alle Erkenntnisanstrengungen um den Weg zur Heimat, wo die Sapientiawohnt, fruchten in Anbetracht des Satzes Secundum hoc autem, quod exsuperat omnemintellectum, Deum nemo vidit unquam (Kap. XIV)? Die reinen Herzen werden Sionsehen, von den schwieligen Hintern derjenigen auf den Schulbänken, die den Donatgebüffelt haben, ist in den letzten Kapiteln nicht die Rede.
Zwei Positionen stehen im Text unausdiskutiert nebeneinander: Athen undJerusalem56: Das Bildungsstreben führt zur Sapientia – um Christus zu erkennen,genügt alles menschliche Wissenwollen nicht. Vielleicht hat sich Honorius im Prologmit Bedacht unter den Schutz des Apostels Thomas gestellt. Zur Reise-Allegoriepasst nicht übel die Stelle Joh 14,5 , wo Thomas Christus fragt: Wie sollen wir den Wegkennen? worauf der Herr antwortet: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Immer noch lesenswert: Henri-Irénée MARROU, Saint Augustin et la fin de la culture antique,Paris: de Boccard 1938.
Vgl. TERTULLIAN: »de praescriptione« besonders Kap. 7 = PL 2, 20f. = BKV 24, S. 312ff. – DerWiderspruch durchzieht das Werk. Marie-Odile Garrigues (1977) weist auf eine Stelle in desHonorius »De anima et de Deo« hin, wo er sagt: Unde et scientia vacant ab hominibus beatificanturet illorum exercitium contemplativa vita nuncupatur. (Daher werden diejenigen, die der Wissenschaftentbehren, seliggepriesen, und ihre Übung als vita contemplativa bezeichnet). [Un] passage, quicontredit tout ce que Honorius dit par ailleur, voir en particulaire le »De anima exilio et patria«(S. 261f).
EMICRANIA E CEFALEA Saper descrivere al medico di quale mal di testa si soffre, delineando i sintomi, è molto importante poiché una cura che può risultare efficace ed alleviare i sintomi in una particolare forma può risultare inefficace in un'altra condizione di cefalea Ho il mal di testa, banale ma reale problema! Quale dei diversi 150 tipi esistenti?E bene si, nel complesso di cefalee
Int. J. Engng Ed. Vol. 20, No. 3, pp. 452±460, 2004ALICE M. AGOGINO, CATHERINE NEWMAN, MARISA BAUER and JENNIFER MANKOFFUniversity of California at Berkeley, Berkeley, CA 94720, USA. E-mail: [email protected] study to examine students' perceptions of the design process was conducted in the freshman/sophomore class E39D: Designing Technology for Girls and Women at the University of Cal