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Bewegen und Heilen: Sport bei Angst und Depression
Begleitmanuskript zum Vortrag von Dr. Dr. med. Herbert Mück, Facharzt für Psychosomati-sche Medizin & Psychotherapie – Sportmedizin/Ernährungsmedizin (Köln), am 06.11.2010auf dem 5. internationalen Hamburger Sport-Kongress Einleitung und Ausblick
Jeder Mensch durchläuft mitunter allein schon im Verlauf eines einzigen Tages kürzere Pha-sen, in denen er sich verunsichert oder gar ängstlich fühlt oder er „schlecht drauf ist“. Diesenormalen „Befindlichkeitsschwankungen“ geben sich meist von selbst, lassen sich aber auchgezielt beeinflussen: etwa durch Pausieren, Entspannen, Musikhören oder auch durch Be-wegung (wie Spazierengehen, Joggen, Fahrradfahren usw.). Auch wenn umgangssprachlichin solchem Zusammenhang häufig die Rede ist von „Ich habe mal wieder meine Depri“,„meinen üblichen Durchhänger“ oder „meine Tage“, stellen derartige Befindlichkeitsschwan-kungen keine „Angststörungen“ oder „Depression“ im medizinischen Sinne dar. Letztere –und nur um solche soll es im Weiteren gehen – setzen voraus, dass ein Minimum an Krite-rien erfüllt ist.
kurz die wichtigsten diagnostischen Kriterien beider Krankheiten aufzeigen und ver-deutlichen, dass „Angststörungen“ und „Depression“ wissenschaftliche Konstruktesind vor einem blinden „Bekämpfen“ von Symptomen warnen unseren Wissenstand zu der Frage zusammenfassen, was wir über den Einfluss vonBewegung und Sport auf Angststörungen und Depressionen wissen verdeutlichen, warum es methodisch extrem schwierig ist, hierzu eindeutige Erkennt-nisse zu gewinnen erläutern, welche Theorien derzeit über den vermuteten Einfluss von Bewegung undSport auf Angststörungen und Depressionen diskutiert werden kurz der Frage nachgehen, ob Sport selbst Angst und Depression auslösen kann die Schwierigkeiten aufzeigen, Menschen mit Angststörungen oder Depressionenzum Sporttreiben zu bewegen und entsprechende Lösungsmöglichkeiten andeuten einige Empfehlungen für Praxis formulieren Angststörungen und Depression als wissenschaftliche Konstrukte
Angststörungen und Depressionen liegt kein eindeutiger, weil greifbarer Sachverhalt zugrun-de (wie es etwa der Fall ist bei einer Hautwarze, einem Gliedmaßenverlust, einer sichtbarenSchwellung oder einer Erblindung). Unsere heute verbindlichen Definitionen für beide Krank-heitsphänomene sind noch vergleichsweise jung. Sie stützen sich auf die beiden weltweitwichtigsten Klassifikationssysteme: ICD 9 (1976, heute ICD 10) und DSM III (1980, heuteDSM IV). Sie haben andere Begriffe abgelöst, die in den 70er Jahren des letzten Jahrhun-derts noch im Gebrauch waren (z.B. „endogene Depression“ oder „reaktive Depression“). Zueinem kritischen Umgang mit beiden Konstrukten ermahnen auch interkulturelle Vergleiche,die zeigen, dass man z.B. in Japan mit dem, was wir als Depression bezeichnen, bis vornicht allzu langer Zeit weitaus wertschätzender umging („Charakter stärkende Erfahrung“),als es bei uns der Fall ist („auszurottende Sinnlosigkeit“). Angststörungen und Depressionenbeinhalten jeweils eine durchaus beliebig anmutende Sammlung bzw. Zusammenfassung(„Cluster“) unterschiedlicher Symptome, von denen sie relativ viele gemeinsam haben (wieKonzentrationsstörungen, Schwierigkeiten sich zu entspannen, Unruhe, Schlafstörungen,Verspannungen, sozialer Rückzug). Mitunter kann daher die Zuordnung schwer fallen (wobeidie endgültige Diagnosewahl immer auch stark durch Wissen und Interessen des Diagnosti-zierenden beeinflusst ist) oder zu einer Doppeldiagnose führen. Besonders deutlich ist der Konstruktcharakter im Fall der „depressiven Episode“, bei der sich die genaue Diagnosedurch ein Addieren von Symptomen ergibt. So ist z.B. für eine „leichte depressive Episode“eines von drei vorgegebenen Hauptsymptomen und zusätzlich mindestens zwei von siebenvorgegebenen Zusatzsymptomen erforderlich. Im englischsprachigen Sprachraum ist nichtdie Rede von „depressiver Episode“, sondern von „Major Depression“, deren Kriterien in ei-nem eigenen Diagnostikmanual aufgeführt sind (heute DSM IV, DSM V ist in Vorbereitung).
Die Major Depression ist etwas anders „konstruiert“ als die „depressive Episode“ und kenntauch andere Unterformen. Internationale Studien zur Depression sind daher nicht immervergleichbar! Nicht nur für den Laien wird die Situation nicht zuletzt oft dadurch unübersicht-lich, als mitunter fast synonym für Depression oder Angststörungen auch die Begriffe „Bur-nout“ oder „Stressbelastung“ verwendet werden. Letztere sind jedoch keine offiziell aner-kannten Diagnosen. Das Burnout-Syndrom lässt sich allerdings in medizinische Dokumenta-tionen als Z-Kriterium (Z73.0) aufnehmen (Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflus-sen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen).
Grundlagenwissen zu Angststörungen
Von den sog. Angststörungen ist die „normale Angst“ abzugrenzen. Letztere ist ein wichtigesGefühl, das man ähnlich wie Überraschung, Ekel, Traurigkeit, Freude und Zorn weltweit inallen Kulturen findet. Angst signalisiert dem Betroffenen, dass er vor einer Herausforderungsteht oder eine solche erwartet, die seine dazu vorhandenen Bewältigungsmöglichkeiten zuüberfordern drohen. Im Ergebnis scheinen ihm deshalb ein erhebliches Missbefinden odergar mögliche Schmerzen bevorzustehen. Ein solches „Symptom“ (= Warnhinweis) zu „be-kämpfen“, macht wenig Sinn, wenn der Hinweis sinnvoll ist und zu passendem Verhaltenmotiviert. Zum Problem oder gar zur „Angststörung“ wird Angst erst dann, wenn sie grundlosauftritt (also wie bei einer defekten Warnsirene ständige Fehlalarme auslöst) oder der„Alarm“ im Verhältnis zur gemeldeten „Gefahr“ völlig unverhältnismäßig ist (z.B. Spinnen-phobie, Fahrstuhlphobie). Angst nimmt in der Regel graduell zu, wobei ein mittleres Angstni-veau sogar leistungssteigernd sein kann („Die Angst des Torwarts vor dem Elfmeter“) underst starke Ängste die Handlungsfähigkeit beeinträchtigen. Unter behandlungsbedürftigenAngststörungen leiden in Deutschland im Lauf eines Jahres ca. 14 Prozent der Bevölkerung(doppelt so viele Frauen wie Männer). Diese Angststörungen werden jedoch häufig nicht alssolche erkannt, da sich die typischen Angstsymptome (wie Herzrasen, Schweißausbrüche,Schwindel, Muskelverspannungen, Rücken- und Nackenschmerzen, Oberbauchbeschwer-den usw.) auch anderen Krankheitsbildern zuordnen lassen und dann bevorzugt unter derenEtikett behandelt werden. Die bedeutsamsten Angststörungen sind die Phobien, die Panik-störung und die generalisierte Angststörung. Auch Anpassungsstörungen, die posttraumati-sche Belastungsstörung und somatoforme Störungen (einschließlich Hypochondrie) habenviele Symptome mit den Angststörungen gemeinsam. Angstbetroffene haben die Tendenz,angstbehaftete Situationen zu vermeiden, was je nach Art und Ausmaß der Angststörung mitzunehmendem Bewegungsmangel und abnehmender Fitness verbunden sein kann. Ähnlichwie bei Depressionen neigen auch viele Angstbetroffene dazu, die noch immer teilweisestigmatisierende Diagnose durch für sie oder die Gesellschaft „akzeptablere“ Bezeichnungenzu ersetzen wie „Stress“ oder „Burnout“.
Grundlagenwissen zu Depressionen
Depressionen gelten mittlerweile als Volkskrankheit, deren Bedeutung (leider) weiter zu-nimmt und die künftig weltweit nach den Herzkrankheiten am häufigsten für Leidenstage ver-antwortlich zeichnen wird. Im Laufe eines Jahres sind davon ca. 10,9 Prozent der Bevölke-rung betroffen (doppelt so viele Frauen wie Männer). Ähnlich wie bei den Angststörungenwerden auch Depressionen noch immer zu selten als solche erkannt, weil die Einzelsym-ptome bevorzugt organischen Erkrankungen zugeordnet werden. Man unterscheidet die „de-pressive Episode“ (bei der ein Minimum an Symptomen für die Dauer von mindestens zweiWochen vorliegen muss) von der Dysthymie. Bei letzterer sind die Symptome nicht stark genug, um die Diagnose einer „depressiven Episode“ zu rechtfertigen. Dafür dauert diese„depressive Verfassung“ mindestens zwei Jahre an und wechseln Phasen stärkerer Beein-trächtigung mit Phasen geringerer Beeinträchtigung ab. Sehr oft liegen beide Varianten de-pressiver Störungen gleichzeitig vor, so dass man dann von einer „double depression“spricht. Auf weitere Varianten depressiver Störungen wird hier nicht weiter eingegangen (wieinsbesondere die bipolaren Störung oder die „depressive Episode mit psychotischen Sym-ptomen“). Depressive Episoden können organischen Erkrankungen vorausgehen oder ihnenfolgen, was in der Regel dazu führt, dass die betreffende organische Erkrankung schwererverläuft. Während man bei erstmaligen depressiven Episoden oft noch „Auslöser“ erkennenkann, ist dies bei wiederkehrenden neuen Phasen immer schwieriger nachzuvollziehen (dieErkrankung scheint „gebahnt“ bzw. die betreffende Person „sensibilisiert“ zu sein). Wenn dieDepression einen erkennbaren Auslöser hat, macht es Sinn, die Behandlung ursächlich amAuslöser anzusetzen und nicht nur die Depression zu „bekämpfen“. Bei wiederkehrendenDepressionen ist deren möglicher Sinn dagegen oft kaum noch zu erkennen. Der tatsächli-che Effekt von Behandlungsmaßnahmen ist bei Depressionen deswegen schwer zu beurtei-len, da es vor allem anfänglich zu einer hohen Rate von Spontanerholungen kommt. So ha-ben sich schon nach einem Vierteljahr über 50 Prozent der Betroffenen wieder erholt (aller-dings kann dies bereits ein sehr belastendes Vierteljahr gewesen sein!).
Einfluss von Sport und Bewegung auf Angststörungen
Da Sport und Bewegung in unseren Medien mittlerweile fast vorbehaltlos zur Behandlungvieler Volkskrankheiten empfohlen werden, besteht die Vorerwartung, dass dies auch fürseelische Erkrankungen gilt. Sehr viele Studien scheinen dem auch Recht zu geben, wobeidie Studienlage zur Depression besonders gut und auf jeden Fall besser als zu den Angst-störungen ist. Daher existieren in neuerer Zeit in „Leitlinien“ und Expertenbewertungen(Cochrane Collaboration) auch schon offizielle Stellungnahmen zum Einfluss von Sport undBewegung auf Depressionen, während solche „unabhängigen“ Aussagen für die Angststö-rungen vorerst noch fehlen (eine Bewertung durch die Cochrane Collaboration ist jedochbereits offiziell angekündigt!). In neuerer Zeit (2008) kommt eine Metaanalyse von Wipfli undKollegen zu der Feststellung, dass Bewegung Angst deutlich besser verringern kann (Effekt-größe: -0,48) als andere Maßnahmen zur Angstreduktion (Effektgröße: -0,19). Da die Auto-ren sich auf 49 Studien stützen, die durchweg randomisiert und kontrolliert waren, glaubensie, eine Empfehlung zur Behandlung von Angststörungen durch Sport von hoher Evidenzaussprechen zu können (Level 1, Grade A). Grundsätzlich lässt sich ansonsten feststellen,dass Sport und Bewegung sog. Zustandsangst („State Anxiety“) schon durch eine einzigeTrainingseinheit lindern können. Dagegen bedarf es für eine bedeutsame Besserung vonveranlagungsbedingter Ängstlichkeit (Trait Anxiety) intensiveren und längeren Trainings. Ei-ne Metaanalyse von Petruzello und Kollegen (1991) kam zu der Feststellung, dass eine ein-zelne Trainingseinheit mindestens 21 Minuten betragen und die Gesamtbehandlung mindes-tens 10 Wochen dauern sollte, um signifikante Effekte auf „Trait Anxiety“ registrieren zu kön-nen.
Dass sich auch Angststörungen mit Hilfe eines geeigneten Bewegungsprogramms bessernlassen, unterstreicht beispielhaft eine oft zitierte und in Deutschland durchgeführte Studievon Broocks und Kollegen (1998). In ihr erhielten 46 Patienten, die unter einer Panikstörung(mit oder ohne Agoraphobie) litten, eine 10-wöchige Behandlung in Form eines Lauftrainings.
Dabei mussten die Teilnehmer je nach Untergruppe mindestens dreimal pro Woche 4 Meilenlaufen, täglich das Medikament Clomipramin (anfänglich 37,5 mg, später 112,5 mg) oderPlacebo einnehmen. Im Vergleich zu der Placebogruppe sank in den beiden anderen Grup-pen das Ausmaß der Angst (beurteilt anhand der Hamilton Anxiety Scale) signifikant undähnlich stark. Das Laufprogramm schien also einer medikamentösen Behandlung gleichwer-tig zu sein. Anhand dieser Studie lassen sich zugleich typische methodische Schwierigkeitenaufzeigen, die eine vorsichtige Interpretation der Ergebnisse solcher Studien gebieten. Fol-gende Einwände sind beispielsweise denkbar: 1. Panik-Patienten (besonders mit Agorapho-bie) scheuen davon zurück, sich körperlich zu belasten und dafür sogar noch ihre sichere Wohnung zu verlassen. Die Durchführung einer „Exposition“ (Joggen im Freien) ist mögli-cherweise hilfreicher als die Bewegung selbst. 2. Die Läufer konnten auch in Begleitung lau-fen. Einmal pro Woche liefen sogar alle Läufer gemeinsam, so dass „soziale Effekte“ eben-falls Angst lindernd wirksam werden konnten. 3. Die Betreuer wussten teilweise, welche Pa-tienten welche „Behandlung“ erhielten und waren daher nicht neutral. 4. Die Läufer führtenein Trainingstagebuch (mögliche zusätzliche Motivation). 5. Bei den Läufern und den Place-bo-Patienten war die Aussteiger-Quote hoch (31 bzw. 27 Prozent), während kein Clomipra-min-Anwender die Studie abbrach.
Dass es durchaus überzeugende Hinweise für Einflüsse von Bewegung auf die Angstentste-hung im Organismus gibt, soll eine Untersuchung von Ströhle und Mitarbeitern (2005) auf-zeigen. Darin erhielten 15 Gesunde einmal nach Ausruhen und einmal nach vorheriger 30-minütiger Laufbandbelastung eine Substanz, die Panik auslöst (CCK-4 = Cystokin Tetrapep-tid). Ergebnis: Nach Ausruhen rief CCK-4 bei 12 Teilnehmern, nach vorherigem Laufen abernur noch bei 6 Teilnehmern Panik hervor. Das vorherige Laufen schien den Organismus „pa-nikresistenter“ gemacht zu haben.
Medizinisch relevant und bedeutsam erscheinen nicht zuletzt die Ergebnisse einer neuenStudie (Herring u. Mitarbeiter 2010). Dabei handelt es sich um eine „Metaanalyse“ von 40Studien zur Anwendung von Bewegung bei chronisch Kranken. Bewegung wurde entwederals Haupt- oder als Zusatzintervention angewendet. Ergebnis: Mit einer durchschnittlichenEffektstärke von 0,29 („mittlerer Effekt“) erscheint Bewegung als wirksame Behandlungs-maßnahme zur Angstlinderung. Die deutlichste Wirkung war zu beobachten bei bis zu 12-wöchigem Training, mindestens 30 Minuten Trainingszeit und einer Beurteilung nach Ablaufvon mindestens einer Woche.
Zusammenfassend lässt sich vorläufig feststellen: Bewegung erzielt neben einem zweifels-freien „akuten“ Angst lösenden Effekt offenbar auch längerfristige Angst verringernde Effek-te, wenn sie bei geeigneten Krankheitsbildern als Zusatzmaßnahme eingesetzt wird. Inwie-weit Bewegung auch als Hauptintervention bei Angststörungen angewendet werden kann, istvorerst noch offen. Besonders geeignete Sportarten lassen sich noch nicht benennen. Feststeht auf jeden Fall, dass Sporttreibende durchweg weniger ängstlich und depressiv sind alssportlich inaktive Menschen (Moor u. a. 2006). Dabei ist unklar, ob Sporttreiben wirklich see-lisch gesund hält oder ob nicht vielmehr seelische Gesundheit die Grundlage dafür ist, Sport-treiben zu wollen und zu können. Auch ist denkbar, dass Sporttreiben und seelische Ge-sundheit in keinerlei Wechselwirkung stehen, sondern dass noch unbekannte Faktoren dafürsorgen, dass man seelisch gesund ist und außerdem auch noch Sport treibt. Auf diese Mög-lichkeit weist eine niederländische Studie hin (De Moor u. a. 2008) Einfluss von Sport und Bewegung auf Depressionen
Anders als bei den Angststörungen gibt es neuerdings zur Frage, ob man Bewegung beiDepressionen einsetzen soll, bereits mehrere offizielle Empfehlungen. So heißt es in der imDezember 2009 veröffentlichen S3-Leitlinie / Nationale Versorgungsleitlinie zur UnipolarenDepression „Körperliches Training kann aus klinischer Erfahrung heraus empfohlen werden,um das Wohlbefinden zu steigern und depressive Symptome zu lindern.“( S. 143) DieseEmpfehlung hat den Rang eines KKP (= Klinischen Konsenspunktes). Ähnlich heißt es inden im Oktober 2010 von der American Psychiatric Association (APA) veröffentlichten Prac-tice Guidelines for the Treatment of Patients with Major Depressive Disorder (Third Edition):„Data generally support at least a modest improvement in mood symptoms for patients withmajor depressive disorder who engage in aerobic exercise or resistance training. Regularexercise may also reduce the prevalence of depressive symptoms in the general population,with specific benefit found in older adults and individuals with co-occuring medical problems.“(S. 27). Die von der APA angesprochene Datenlage wurde ebenfalls 2010 von der CochraneCollaboration analysiert, wobei sich die Wissenschaftler auf ein Ausgangsmaterial von mitt-lerweile schon 144 einschlägigen Veröffentlichungen stützen konnten. Ausreichenden wis- senschaftlichen Kriterien entsprachen davon 23 Untersuchungen (mit 903 Teilnehmern).
Fasst man diese zusammen, errechnet sich eine deutliche klinische Wirkung des Sporttrei-bens (SMD = -0.82) auf Depressionen. Beschränkt man sich allerdings auf die verbleibenden3 wissenschaftlich hoch anspruchsvollen Studien (216 Teilnehmer) findet sich nur noch einmäßiger Effekt (SMD = -0.42). Weitere Teilauswertungen der Cochrane Collaboration erga-ben: 1. Sport wirkt bei Depressionen vergleichbar gut wie kognitive Verhaltenstherapie (6Studien, 152 Teilnehmer). 2. Sport wirkt vergleichbar wie Antidepressiva (2 Studien, 201Teilnehmer). 3. Der Effekt aeroben Sporttreibens auf Depressionen ist mäßig, aber wahr-scheinlicher. Der Effekt von Krafttraining auf Depressionen erscheint stark, dafür aber weni-ger gesichert. 4. Vier von acht Studien sprechen für einen Zusammenhang von Fitnessgradund Depressivität. Im Folgenden sollen beispielhaft drei typische Studien kurz skizziert undkommentiert werden.
Die möglicherweise bekannteste Studie stammt von Blumenthal und Mitarbeitern (1999). Anihr beteiligten sich 156 Patienten im Alter von 50 bis 77 Jahren mit einer „Major Depression“(Durchschnitt: 57 Jahre). Die Teilnehmer erhielten eine 16-wöchige Behandlung mit entwe-der nur Lauftraining (3mal wöchentlich 45 Minuten, davon 10 Minuten Warm up, 5 MinutenCool down), nur täglich bis zu 200 mg Sertralin (durchschnittlich 100 mg) oder eine Kombina-tion aus beidem. Unter diesem Vorgehen verbesserte sich der Depressionsscore der Patien-ten (Selbstbeurteilung nach BDI) in diesem Zeitraum in allen drei Behandlungsgruppen ein-drucksvoll und durchweg um mehr als die Hälfte. Kritisch lässt sich jedoch zur Methodik ein-wenden: 1. Da es keine Placebo-Kontrollgruppe gab, bleibt unklar in welchem Ausmaß aucheine von den Behandlungen unabhängige Spontanerholung eine Rolle spielte. 2. Es handel-te sich durchweg um sehr zum Sporttreiben motivierte Patienten. 3. Da es sich um ein Grup-pentraining handelte, könnten auch soziale Effekte wesentlich zur Besserung beigetragenhaben.
Interessant ist auch die Fortführung dieser Studie durch die gleiche Forschergruppe (Babyaku. a. 2000). Allen Studienteilnehmern, die im ersten Teil „depressionsfrei“ geworden waren,wurden eingeladen, nach eigenen Bedürfnissen die Behandlung fortzusetzen und ggf. dieBehandlungsmethode zu wechseln. Sechs Monate später zeigte sich, dass in der weiterhinSport treibenden Gruppe mit Abstand die geringste Rückfallquote zu verzeichnen war. Vonden Sporttreibenden wechselten auch die wenigsten Personen (nur 7 Prozent) zu einer an-deren Behandlungsvariante. Regelmäßiges aerobes Sporttreiben war (unabhängig von einerMedikamenteneinnahme) hoch signifikant (p < 0.0009) mit geringerer Depressivität verbun-den. Zusätzliches Sporttreiben (auch außerhalb von Gruppen!) verringerte das Risiko, erneutdepressiv zu werden (beurteilt anhand der Odds Ratio), pro 50 Minuten jeweils um 50 Pro-zent. Da in der Folgestudie ein großer Teil des Sporttreibens außerhalb von Gruppen statt-fand, konnten hier soziale Effekte keine so großen Beitrag mehr leisten. Die Tatsache, dassSporttreiben als Teil einer Kombinationstherapie keinen vergleichbaren prophylaktischenEffekt entfaltete, erklären sich die Studienautoren damit, dass die betreffenden Patienten denBehandlungserfolg nicht ausschließlich ihrer eigenen Leistung, sondern auch dem Medika-ment zuschrieben und daher weniger Selbstvertrauen entwickeln konnten.
Der Frage „Wie viel Sport wirkt antidepressiv?“ gingen Dunn und Mitarbeiter (2005) in einerStudie an 80 Teilnehmern (Alter: 20-45 Jahre) nach. Diese litten an einer leichten bis mittel-schweren Major Depressive Disorder. Zwei Gruppen trainierten 12 Wochen lang unter Auf-sicht drei- bzw. fünf Mal pro Woche auf einem Laufband oder Fahrradergometer, wobei sie jenach Gruppe 7,0 (LD) bzw. 15,5 (PHD) kcal/kg/W pro Training verbrauchen sollten. Einedritte Gruppe diente als Kontrolle und machte drei Mal wöchentlich Dehnungsübungen. DerErfolg wurde anhand der Hamilton Depressionsskala beurteilt. Es zeigte sich, dass der De-pressionswert in allen drei Gruppen sank. Aber nur der höhere Kalorienumsatz wirkte imVergleich zur Kontrollgruppe wie zur Gruppe mit niedrigerem Kalorienumsatz stärker antide-pressiv. Die höhere „Sportdosis“ entspricht dem für Gesundheitszwecke empfohlenen öffent-lich empfohlenen wöchentlichen Sportpensum. Bezogen auf die gleiche Wochengesamtdosismachte es keinen Unterschied, ob diese auf drei oder fünf Trainingseinheiten verteilt wurde.
Überwiegend ernüchternd fällt eine weitere Studie von Blumenthal und Mitarbeitern (2007)aus, diesmal an 202 depressive Teilnehmern (Durchschnittsalter: 53 Jahre). Diese unterzo-gen sich aufgeteilt in vier Gruppen 16 Wochen lang entweder einem 45-minütigen Training(10 Min. Warmup + 30 Min. Laufband +und 5 Min. Cooldown) entweder (a) allein oder (b) ineiner Gruppe (supervidiert) oder (c) sie erhielten 50-200 mg Sertralin bzw. (d) Placebo. Wiedie Abbildung zeigt, besserte sich zwar in allen drei Gruppen der Depressionsscore teilweiseso weit, dass die Kriterien einer MDD nicht erfüllt waren (a: 40 %, b: 45 %, c: 47 %, d: 31 %).
Im Vergleich zur Placebogruppe erzielten die drei anderen Gruppen aber kein signifikantbesseres Ergebnis. Dagegen besserte sich die Belastbarkeit in den beiden Trainingsgruppenim Vergleich zur Placebogruppe signifikant.
Eine Studie von Dimeo und Mitarbeitern (2001) an 12 Patienten mit Major Depression (12-96Monate) verdeutlicht, wie schnell sich depressive Symptome unter einem Bewegungspro-gramm bessern können (10-tägiges 30-minütiges Intervallgehen auf Laufband). Die Interven-tion verringerte hoch signifikant die per Fremdbeurteilung (HAMD) erhobenen Depressions-werte (p = 0,002), entsprechendes galt auch für die Selbstbeurteilung (P = 0,006). Außerdemwird die individuelle Streuung hier gut veranschaulicht.
Als letzte Interventionsstudie, diesmal zum Themenbereich Kraftsport bei Depression, seibeispielhaft auf eine Untersuchung von Singh und Mitarbeitern (2005) eingegangen. Sieschloss 60 depressive Teilnehmer im Alter über 60 Jahre (60 – 85 Jahre) ein. Diese wurdenrandomisiert drei Interventionsformen zugeteilt: (a) einem Krafttraining mit 80 % bzw. (b) mit20 % der jeweiligen Maximalkraft bzw. (c) der üblichen Behandlung beim Hausarzt. In densportlich aktiven Gruppen wurde 8 Wochen lang 3 Mal pro Woche trainiert (jeweils 1 StundeKrafttraining + 5 Min. Stretching). Es erfolgten jeweils 3 Sets mit 8 Wiederholungen auf ver-schiedenen Geräten. Bei den intensiv Trainierenden war die Rate jener deutlicher höher, beidenen sich der HRDS-(Depressions)Score halbierte (61 Prozent) als bei den leicht Trainie-renden (29 Prozent) oder der Hausarztgruppe (21 Prozent). Zwischen Kraftzuwachs undRückgang der Depressivität fand sich ein linearer Zusammenhang („Dosis-Wirkungs-Beziehung“). Soziale Effekte schienen also keine wesentliche Rolle zu spielen. Bei den in-tensiv Trainierenden spielte es für den antidepressiven Erfolg auch keine Rolle, wie starkoder schwach sie von ihrem Training ein positives Ergebnis auf die Depression erwartet hat-ten. Dagegen war ein solcher „Placebo-Effekt“ in der leicht trainierenden Gruppe nachzuwei-sen: Je mehr ein Teilnehmer einen antidepressiven Effekt erwartet hatte, umso deutlicher fieldieser auch trotz der geringen Traingsbelastung aus.
Als erstes Zwischenfazit lässt sich festhalten: Günstige Effekte von Bewegung und Depres-sion auf Angsterkrankungen und Depressionen sind nachweislich bislang erst in wissen-schaftlich begleiteten prospektiven Studien zu registrieren. Es ist daher nicht auszuschlie-ßen, dass Rahmenbedingungen des Sporttreibens wesentlich zu den beobachtbaren Effek-ten beigetragen haben (wie vermehrte Aufmerksamkeit, häufigere Kontakte, soziale Impulse,eigene Erwartungen und Einstellungen der Teilnehmer zum Effekt des Sporttreibens). Sport-treiben alleine und entgegen eigener Überzeugungen zu betreiben, dürfte vermutlich weitausweniger günstige psychische Effekte erzielen.
Auf welche Weise können Bewegung und Sport günstige psychi-
sche Effekte erzielen (insbesondere Angst vermindernd und antide-
pressiv wirken)?

Mittlerweile gibt es eine Fülle von Hypothesen zu dieser Frage. Die wichtigsten lauten: Fast jeder Mensch hat die Erfahrung gemacht, dass sich körperliche Erregung (z.B.
vor einer Prüfung, vor einem wichtigen Rendezvous oder nach einem heftigen Streit)durch Bewegung abbauen lässt (beispielsweise durch Auf- und Abgehen vor dem Prüfungsraum, Wippen mit dem Bein, „einmal um den Block gehen“). Bewegungscheint sich also auch dazu anzubieten, die mit Ängsten und Depressionen oft ver-bundenen „Erregungen“ zu verringern.
Angststörungen und Depressionen führen dazu, dass sich die Betroffenen eher weni- ger als mehr bewegen. Durch ein zu viel an „Schonung“ verliert der Organismus anFitness. Dies führt dazu, dass schon geringe körperliche Belastungen den Organis-mus überfordern. Dadurch werden bestehende Symptome (Herzrasen, Schwitzen,Erschöpfung, Müdigkeit) verstärkt. Indem man die Betroffenen dazu motiviert, sichwieder vermehrt zu ertüchtigen, wird nicht nur der Teufelskreis unterbrochen. Die Pa-tienten fühlen sich wieder wohler, schöpfen Hoffnung und sind besser in der Lage,sich möglichen Problemen zu stellen. Wer durch Krafttraining eigenen Kraftzuwachserlebt und seine Muskeln spürt, hört auf, sich weiterhin „kraftlos“ zu fühlen.
Menschen mit Depressionen, die sich innerlich als „leer“ und „sinnlos“ erleben, kann Bewegung zu einem neuen und „sinnvollen Lebensinhalt“ verhelfen. Menschen, dieauf ihre Ängste fixiert sind, kann Bewegung unterstützen, bislang durch Ängste bean-spruchte Gehirnkapazitäten besser zu nutzen.
Bei Angstbetroffenen lassen sich Bewegung und Sport häufig auch als „verhaltens- therapeutische Konfrontationsübung“ betrachten. In solchen Fällen sind es nicht demSport oder der Bewegung innewohnende Gesundheitsfaktoren, die dem Patientenhelfen. Sport und Bewegung stellen unter diesem Gesichtspunkt „Übungsaufgaben“dar, mit deren Hilfe der Patient lernt, Ängste auszuhalten und damit zu überwinden.
Ähnlich können Sport und Bewegung bei Depressionsbetroffenen als Übungsmög-lichkeiten betrachtet werden, ein Muster von Antriebslosigkeit und Passivität zudurchbrechen. Sport und Bewegung haben den Vorteil, dass bei ihnen der Sinn sol-cher Übungen weniger gut in Frage gestellt werden kann, weil sie durchweg als ge-sunde Verhaltensweisen anerkannt sind.
Die auf William James zurückgehende Frage „Habe ich Angst, weil mein Herz rast, oder rast mein Herz, weil ich Angst habe“ lässt sich bis heute nicht beantworten.
Wahrscheinlich macht eine einseitige Entscheidung auch keinen Sinn, weil beideBlickrichtungen gleichermaßen zutreffen können. Dies bedeutet zugleich, dass sichüber Veränderungen in Organfunktionen auch seelisches Befinden beeinflussenlässt. Dafür spricht zum Beispiel auch die im Alltag zu machende Beobachtung, dasssich allein durch das Einnehmen einer aufrechten Haltung (statt den Kopf hängen zulassen) die Befindlichkeit etwas bessern kann. Ähnliches gilt für das Einklemmen ei-nes quer liegenden Bleistiftes zwischen den Zähnen, wodurch sich zwangsläufig dieMundwinkel heben. Auch das Dehnen von Nacken- und Rückenmuskulatur führt oftzu einem kurzen Wohlgefühl. In diesem Zusammenhang sind auch neuere „Botox“-Experimente zu nennen, bei denen die Lähmung eines Stirnmuskels nachweislichdazu führte, dass die Betroffenen negative Emotionen weniger intensiv verspürten.
Aus den genannten Phänomenen lässt sich ableiten, dass der menschliche Haltungs-und Bewegungsapparat nicht nur ein „Exekutivorgan“ des Gehirns zur Ausführungvon Handlungen ist, sondern auch in die Wahrnehmung und Verarbeitung emotiona-ler und kognitiver Vorgänge komplex eingebunden erscheint. Unter diesem Gesichts-punkt können Bewegung und Sport dazu führen, dass der Organismus in einen Zu-stand versetzt wird, der positive Signale an das Gehirn sendet, die mit typischen zuAngst und Depression passenden Signalen nicht vereinbar sind.
Angststörungen und Depressionen gehen sehr oft mit dem besonders stressbehafte- ten Erleben einher, in einer Falle zu sitzen bzw. keine Lösung zu sehen und daherden Symptomen hilflos ausgeliefert zu sein. In solchen Situationen eröffnet die Mög-lichkeit, sich durch Bewegung und Sport Erleichterung zu verschaffen, einen Ausweg.
Sobald ein Mensch in einer bis dahin ausweglos erscheinenden Situation einen mög- lichen Ausweg sieht und das Gefühl verspürt, Kontrolle über das Geschehen aus-üben zu können, sinkt das Stresserleben und bessern sich die damit verbundenenSymptome (sofern diese nicht schon „chronifiziert“ sind). Das Bewusstsein, über Mit-tel zur Selbstregulation zu verfügen, verbessert das Selbstvertrauen und wirkt so ge-sundheitsfördernd.
Besonders bei depressiven Menschen („Depression als Gefühl der Gefühllosigkeit“) kann das körperliche Erleben beim Sport wieder oder auch erstmalig einen Zugangzum Körpergefühl eröffnen. Dafür dürfte es wichtig sein, sich nach dem Sport immerauch eine ausreichende Pause für das „Nachspüren“ zu lassen.
Angstbetroffene können durch sportliche Belastung lernen, dass von ihnen als Krankheitssymptome gewertete Körperreaktionen (schneller Herzschlag, beschleu-nigte Atmung und Gefühle von Luftnot, Schwitzen, Erschöpfung, „Muskelziehen“) völ-lig normale, ja gesunde Zeichen sein können. Hierfür ist es erforderlich, dass dieBetreffenden sich ausreichend lange pro Trainingseinheit belasten, um zu merken,dass der möglicherweise befürchtete Herzinfarkt oder ein Zusammenbrechen nichterfolgen, sondern sich bei weiterem Trainieren eher positive Gefühle einstellen. Einzu früher Trainingsabbruch (Vermeidung), kann dagegen die bestehenden Befürch-tungen weiter stärken! Bei einem solchen „Umlerntraining“ sollte man sich möglichstmit hilfreichen Gedanken auseinandersetzen. Denn das Gehirn verbindet allesGleichzeitige („Konditionierung“).
Auf biologischer Ebene gibt es zahlreiche Vermutungen zu der Frage, wie sich Be- wegung und Sport heilsam auf Angststörungen und Depressionen auswirken können.
Dabei gilt die Aufmerksamkeit vor allem den im Gehirn zu registrierenden Effekten.
Eine der ältesten Beobachtungen betrifft die Feststellung, dass schon bei leichterBewegung (wie einem Spaziergang) die Hirndurchblutung deutlich ansteigt. Auchkönnen sich unter sportlichem Training im Gehirn offenbar neue Blutgefäße bilden.
Auf welche Weise diese Phänomene letztendlich dann auch dazu beitragen können,dass Angststörungen und Depressionen schwinden, ist bis heute unklar.
Experimentell ist belegt, dass Ausdauerbelastungen kognitive Leistungen verbessern, wie insbesondere das Lernen. Da kognitive Störungen (z.B. Konzentrationsstörun-gen) das Bild von Angststörungen und Depressionen prägen, ist vorstellbar, dassBewegung durch eine Verbesserung solcher Einzelsymptome das Krankheitsbild un-ter Teilaspekten günstig beeinflusst.
Noch immer wird bei der Diskussion der Wirkungsmechanismen auch darauf hinge- wiesen, dass der Körper unter sportlicher Belastung vermehrt Endorphine freisetzt,die zu einem Wohlbefinden führen können. Hier begegnet man jedoch regelmäßigdem Einwand, dass es für diesen Effekt oft längerer und intensiverer körperlicher Be-lastung bedarf, die bei den meisten Angst- und Depressionsbetroffenen wohl eherselten zu realisieren ist und auch nicht erforderlich erscheint.
Seit längerem vermutet man, dass es vor allem bei Depressionen zu einer Störung im Verhältnis zwischen wichtigen Botenstoffen im Gehirn („Neurotransmittern“) kommt,von denen Serotonin, Noradrenalin und Dopamin die wichtigsten sind. Viele der gän-gigen Antidepressiva bauen darauf ihr Wirkungskonzept auf. Auch Bewegung kannden Organismus veranlassen, die genannten Botenstoffe vermehrt freizusetzen. Lan-ge Zeit wurde zumindest die öffentliche Diskussion sehr stark von Überlegungen zurBedeutung der genannten Neurotransmitter im Rahmen der Depressionsentstehungbestimmt (eventuell aufgrund des Marketings pharmazeutischer Firmen). Mittlerweilehaben auch andere Aspekte an Gewicht gewonnen (siehe Punk 15).
Bei den meisten Angststörungen und Depressionen ist das körpereigene „Stresssys- tem“ übermäßig aktiv. Dies führt dazu, dass es zu einem Ungleichgewicht im sog. au-tonomen Nervensystem kommt, bei dem die Signale des aktivierenden und aufKampf und Flucht eingestellten Sympathikus über die Signale des beruhigenden unddie Regeneration fördernden Parasympathikus dominieren. Dies spiegelt sich bei-spielsweise in einer verringerten Herzratenvariabilität (HRV) wider. Ausdauersportkann den „Ruhenerven“ (Parasympathikus) stärken und so zu einem gesundenGleichgewicht im „autonomen Nervensystem“ beitragen. Auch depressive Menschenweisen eine verringerte Herzratenvariabilität auf, die sich unter einer erfolgreichenTherapie ebenfalls bessert.
Die Überaktivität des Stresssystems von Angst- und Depressionsbetroffenen geht häufig auch mit einer dauerhaft (!) vermehrten Freisetzung von Cortisol im Organis-mus einher. Während der Körper bei einer Bedrohung als Sofortreaktion Noradrenalinaus dem Nebennierenmark freisetzt („kontrollierbar erscheinende Gefahr“), stellt dieAusschüttung von Cortisol gleichsam eine verzögert einsetzende „Nachschubreakti-on“ dar (auf eine „unkontrollierbar erscheinende Gefahr“). Ein dauerhaft erhöhter Cor-tisolspiegel hat viele ungünstige Folgen (wie etwa den Verlust von Nervenzellen imHippokampus oder die Abschwächung von Immunreaktionen). Forscher wie FlorianHolsboer vertreten die Auffassung, dass ein Zuviel an Cortisol wesentlich zur Entste-hung und Aufrechterhaltung von Depressionen beiträgt („Cortisolhypothese der De-pression“). Ausdauersport scheint den Cortisolspiegel im Körper senken bzw. Cortiso-lerhöhungen vorbeugen zu können.
Zu den heute besonders intensiv untersuchten Erklärungsansätzen gehört die Beo- bachtung, dass der Organismus unter sportlicher Belastung vermehrt sog. Wachs-tumsfaktoren freisetzt, die insbesondere im Gehirn zur Neubildung von Nervenzellenund einer besseren „Vernetzung“ (Bildung von „Synapsen“) führen können. Im Zent-rum der Forschung und des Interesses steht BDNF (Brain Derived Neurotropic Fac-tor), gefolgt von IGF-1 (Insulin-like Growth Factor). Besonders im Hippokampus, derbei Depressionskranken bzw. Stressbetroffenen oft verkleinert ist, kann es durchBDNF zur Nervenneubildung kommen. Da Antidepressiva genau den gleichen Effekterzielen, vermutet man, dass Bewegung vor allem über die vermehrte Freisetzungvon BDNF antidepressiv wirken könnte. Bei depressiven Menschen ist im Blut zu we-nig BDNF vorhanden. Sportliche Belastung kann bei ihnen zu einem raschen vorü-bergehenden Anstieg führen.
Angst und Depression begleiten viele chronische Erkrankungen (oft als deren Folge, mitunter aber auch als deren Vorboten) und tragen so zu dem Gesamtkrankheitsge-fühl bei. Genannt seien hier nur die Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, die chro-nisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und Rückenleiden. Indem geeigneteBewegungsprogramme das Grundleiden verringern, wirken sie vermutlich indirektauch abbauend auf die mit dem chronischen Leiden verbundenen Ängste und De-pressionen ein.
Erwähnenswert sind auch Befunde, denen zufolge körperlich trainierte Gehirne bei der Auflösung von Aufgaben weniger „Gehirnkapazität“ benötigen als untrainierte (zi-tiert nach Hollmann et. 2003).
Mehrere Studien zeigen, dass Bewegung die Effekte anderer Maßnahmen verstärken kann (z.B. die Wirkung von Antidepressiva oder auch die Wirkung von Östrogen aufdas Gehirn).
Noch etwas exotisch mag die Überlegung klingen, dass vielleicht die durch Sport mögliche „rhythmische Aktivierung“ der beiden Körperhälften und damit auch der Ge-hirnhälften zu einer besseren Informationsarbeitung in Gehirn und Körper beitragen.
Dem Laien sind entsprechende Erfahrungen oft bekannt (mehr Einfälle beim Gehenoder Laufen, klarerer Kopf durch Joggen). Auch bei Naturvölkern werden rhythmischeRituale und Tänze zu Heilungszwecken eingesetzt. Ernstzunehmende Hinweise aufeine verbesserte Informationsverarbeitung im Gehirn kommen auch aus der Trauma-forschung, wo mittlerweile über 20 ernst zu nehmende Studien zeigen, dass eine re-gelmäßig die Körperseite wechselnde sinnliche Stimulation nicht nur die Verarbeitungpsychischer Traumata, sondern auch die Stabilisierung positiver Vorstellungen undEntwicklungen begünstigt.
Kann Sporttreiben Angst und Depression fördern?
Wer in gesundem Umfang Sport treibt, braucht weder Angst noch Depression zu befürchten.
Bewegung ist ein im Vergleich zu Medikamenten erfreulich „nebenwirkungsfreies“ Heilmittel,wenn sie in vernünftigem Umfang betrieben wird. Wer sein Training übertreibt, muss aller-dings mit einem „Übertrainingszustand“ rechnen, dessen Symptome denen der Depressionähneln können (wie Konzentrations- und Schlafstörungen, Müdigkeit, depressive Verstim-mungen, Schmerzen, Appetit- und Gewichtsverlust, Unlust). In einem solchen Fall ist eineTrainingsreduktion bzw. -anpassung das Vorgehen der Wahl.
Wenn Sportler Angststörungen oder Depressionen entwickeln (evtl. sich sogar das Lebennehmen), hat dies so gut wie immer Ursachen, die mit dem Sporttreiben selbst nichts zu tunhaben. Ausnahmen sind Unfälle, die sich beim Ausüben der Sportart ereignen und Ängsteoder eine Depression zur Folge haben (entweder weil der Unfall traumatisch war oder weil erzur Folge hatte, dass über längere Zeit kein Sport mehr getrieben werden konnte). Im Übri-gen zeigen Fälle, in denen Sportler Ängste und Depressionen entwickeln, dass Sport alleinkeinen ausreichend sicheren Schutz vor diesen Problemen bietet.
Wer immer intensiv Sport getrieben hat oder für wen Sport sogar der wichtigste Lebensinhaltwar (etwa im Falle von Leistungssport), für den kann der Wegfall des Sporttreibens durchausAngst auslösend oder depressionsfördernd sein. In der Regel handelt es sich in solchen Fäl-len nicht um „Entzugssymptome“ einer „abhängig machenden Sportart“. Meist liegen bei denBetroffenen psychosoziale Probleme vor, die sich mit Hilfe des Sports bislang kompensierenließen und die (wieder) aufflammen, sobald das Kompensationsmittel wegfällt. So mag fürden einen oder anderen Spitzensportler gelten, dass er durch sportlichen Erfolg ein schwa-ches Selbstwertgefühl und soziale Ängste erfolgreich kompensiert und so eine Depressionverhindert. Solange es sich um eine bloße „Kompensation“ und nicht um eine dauerhafteBewältigung der genannten Probleme handelt, bleibt der Betreffende von einem Wiederauf-flammen seiner seelischen Probleme bedroht, falls das Kompensationsmittel nicht mehr zurVerfügung steht oder seine Wirkung verliert.
Sport sollte auf keinen Fall dadurch in Verruf geraten, dass manche Menschen ihn „miss-brauchen“, etwa um auf diese Weise das Körpergewicht zu reduzieren (Beispiel: Mager-sucht).
Mögliche Probleme bei der Anwendung von Sport und Bewegung
bei Menschen mit Angststörungen und Depressionen

Die große Herausforderung besteht darin, angstkranke und depressive Menschen zu ver-mehrter Bewegung zu motivieren. Dies fällt leichter, wenn die Betreffenden bereits auf positi-ve Bewegungserfahrungen in ihrem Leben zurückblicken können und gleichsam nur an dieschon vorhandene Ressource erinnert werden müssen (Stichwort: Schwimmen verlernt mannicht). Ihnen hilft oft schon, wenn man ihnen aufzeigt, wie sich ein Mehr an Bewegung inihrem Alltag wieder sinnvoll einbauen lässt und wie dies ggf. organisatorisch zu bewältigenist. Dabei sollte man möglichst an die frühere Sportart anknüpfen und – wenn dies nichtmöglich ist – eine vergleichbare empfehlen.
Schwieriger fällt eine solche „Motivierung“ bei weitgehend sportunerfahrenen Personen, diesich oft ein stabiles Argumentationssystem zugelegt haben, mit dem sie ihren Bewegungs-mangel begründen („Mir fehlt dazu die Veranlagung oder Lust“). Solchen Menschen kannman zumindest verdeutlichen, dass „Gene kein Schicksal“ sind und dass nach dem heutigenwissenschaftlichen Stand („Epigenetik“) schlummernde Gene sich meist lebenslang aktivie-ren lassen. Beispiel: Durch Training lässt sich nicht nur die „Figur“, sondern auch die Zu-sammensetzung der Muskulatur verändern. Ähnlich wie bei Rauchern kann sich sog. Motiva-tional Interviewing eignen, den Betreffenden zu neuen Einstellungen zu verhelfen. Dafür istes wichtig herauszufinden, ob die Sport ablehnende Person zu 100 Prozent gegen Sporteingestellt ist oder diesem zumindest schon einige wenige positive Aspekte abgewinnenkann. Im Weiteren gilt es dann, durch hilfreiche Zusatzfragen die entsprechende innere Stim-me so weit zu stärken, dass sie der bislang ablehnenden Stimme irgendwann überlegen ist.
Ansonsten ist es wichtig, durch das eigene Vorbild zu überzeugen, Sport als wichtiges Teil-element eines Gesamtbehandlungsplanes darzustellen (kein „Vielleicht probieren Sie esauch einmal mit Sport“), Motivationshilfen anzubieten (Beispiele anderer Patienten, Audio-CDs, Schrittzähler) und – wie die Erfahrung mit wissenschaftlichen Studien zeigt – immerwieder konsequent neue Erfahrungen mit dem Sporttreiben zu erfragen und positiv zu kom-mentieren („Was man beachtet, das wächst“). Menschen, die in ihrem Leben kaum Sportgetrieben haben, sollten vorsichtig an die Hand genommen und gegebenenfalls persönlichzum ersten Termin begleitet werden (falls nicht sogar gemeinsames Sporttreiben möglichist). Zumindest sollten ihnen Wege genau aufgezeigt werden, wie sie sich sportlichem Han-deln nähern können (z.B. Adressen vermitteln, etwa zu Lauftreffs, oder persönlich für dieBetreffenden in Vereinen oder Fitnessstudios einen Termin vereinbaren). Erfahrungsgemäßkann ein (konsequent geführtes!) „Trainingstagebuch“ Motivation und Disziplin fördern. De-pressive Menschen werden fast standardmäßig erwidern, dass sie schon gerne mit demSporttreiben beginnen würden, allerdings würden sie noch so lange warten, bis es ihnen da-für ausreichend besser geht. Hier gilt es so lange zu erläutern, dass es auf den umgekehrtenZusammenhang ankommt („Sport soll gerade dazu beitragen, dass es Ihnen wieder bessergeht“), bis der Betreffende die Zusammenhänge verstanden hat. Jedem Patienten sollte dasVersprechen abgenommen werden, wenigstens dreimal testweise zu trainieren, bevor ersich ein abschließendes Urteil gestattet.
Da ein großer Teil der von Depressionen und Angststörungen betroffenen Menschen eherwenig fit ist, ist unbedingt darauf zu achten, dass die Trainingsbelastung langsam und an-gemessen gesteigert wird. Am besten sollte ein individueller Trainingsplan aufgestellt wer-den, sofern der Betreffende nicht in einer fachlich angeleiteten Gruppe trainiert, wo der Trai-ner darauf achtet. Anderenfalls drohen Überforderungen und Verletzungen (z.B. Ermü-dungsbrüche ungeübter Knochen, Muskel- und Gelenkverletzungen!). Eine sportmedizini-sche Untersuchung vor Trainingsbeginn ist auch bei jüngeren Patienten mit Angststörungenoder Depression angezeigt, da sich diese aufgrund ihrer psychischen Problematik tenden-ziell eher wenig bewegen und daher mitunter weniger belastbar sind als Personen gleichenAlters. Kommt es trotz aller Vorsicht zu Verletzungen, ist gemeinsam mit dem Betroffenen zuüberlegen, ob während der Rekonvaleszenz nicht andere Formen von Bewegung genutztwerden können (z.B. Krafttraining mit Aussparung des verletzten Körperteils).
Zusätzliche Praxisempfehlungen
1. Auch wenn noch viele Erkenntnisse teilweise widersprüchlich erscheinen oder sich auf Tierexperimente stützen, zweifeln „Experten“ nicht mehr am grundsätzlichen Nut-zen von Bewegungsprogrammen für Menschen mit Depressionen und Angststörun-gen. In psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken ist „Sport- bzw. Bewegungs-therapie“ längst ein fester Bestandteil des Gesamtbehandlungsplanes. Auch im am-bulanten Bereich sollten den Betroffenen vergleichbare Angebote unterbreitet wer-den. Hier wäre zu prüfen, ob Sportverordnungen nicht auch bei diesen Krankheitsbil- dern möglich sind, wie es z.B. „Herzsport“ oder dem Sport für Krebskranke längstzum Alltag gehört. Einen solchen Sport könnte man als „Regenerationssport“ be-zeichnen.
2. Vor allem für Ausdauer- und Kraftsport sind günstige Effekte auf Angststörungen und Depressionen bislang wissenschaftlich belegt. Dies heißt nicht, dass andere Sportar-ten nicht weniger effektiv sein können. Kraft- und Ausdauersport lassen sich nur be-sonders gut unter kontrollierten Laborbedingungen untersuchen und erzeugen so vie-le wissenschaftliche Publikationen. Bevor man einen Patienten gegen seine Neigungzu einer „bewährten Sportart“ drängt (zu der er nicht motiviert ist), sollten vorrangigseine sportlichen Neigungen berücksichtigt werden (sofern solchen vorhanden sind).
3. Sport und Bewegung sollten bei Angststörungen und Depressionen möglichst nicht als einziges Behandlungsangebot genutzt werden. Dabei beschränkt sich Sportselbst ja auch keinesfalls auf bloße Bewegung, sondern ist immer ein „komplexes Er-lebnisangebot“. Wie die Erfolge von „Studien“ vermuten lassen, scheint die Beglei-tung durch einen Fachmann oder Fachfrau und dessen Interesse am Patienten einewesentliche Rolle für den Behandlungserfolg zu spielen. Als Arzt oder Trainer machtes Sinn, diese Erkenntnis zu nutzen. Wo es möglich ist, sollten aus dem Umkreis desPatienten auch solche ihm nahestehende Menschen einbezogen werden, die ihrer-seits den Betroffenen zu mehr Bewegung motivieren und seine Fortschritte wert-schätzen können.
4. Der Erfolg einer „Sporttherapie“ hängt – wie bei allen Behandlungsmaßnahmen! – wesentlich davon ab, wie überzeugt der Patient vom Sinn der Maßnahme ist und mitwelchem Erfolg er selbst rechnet. Daher lohnt sich der Aufwand, dem Betroffenen dievielfältigen Wirkungen von Bewegung auf seelische Gesundheit zu erläutern undmöglichst konkrete positive Beispiele anzuführen (Verstärkung positiver Erwartun-gen).
5. Möglicherweise profitierten ältere depressive oder ängstliche Menschen ganz beson- ders von einer Sporttherapie. Ihnen fällt der Zuwachs an Fitness und Kraft eventuellmehr auf als jüngeren Menschen. Dies motiviert zur Beibehaltung des Sporttreibens,stärkt das Selbstvertrauen, erweckt Optimismus in die Gestaltbarkeit des Lebens(„Selbstwirksamkeit“) und kann gerade älteren Menschen eine besondere Attraktivitätverleihen. Je nach Sportart werden auch soziale Kontakte gefördert und damit Gefüh-le von Einsamkeit verringert.
6. Zur Frage nach der empfehlenswerten Bewegungsdosis gilt: Soweit es möglich ist, sollte man sich täglich vermehrt bewegen. Wo dies nicht möglich ist, kann man sichim Hinblick auf die „wöchentliche Gesamtdosis“ an den offiziellen Empfehlungen für„Gesundheitssport“ orientieren (wenigstens drei- bis fünfmal pro Woche 30 bis 60 Mi-nuten „Training“, das zu zwei Dritteln aus Ausdauerelementen und zu einem Drittelaus Kraftelementen bestehen sollte, inklusive Dehnübungen). Ungeübte sollten mitdeutlich geringerem Pensum einsteigen, wobei dieses dann schrittweise gesteigertwird. Mehrere Studien sprechen für einen Dosis-Wirkungs-Effekt, demzufolge intensi-veres Training (insbesondere Krafttraining) nicht nur die Fitness erhöht, sondern auchAngst und Depression deutlicher verringern kann als weniger intensives Training. Beider oberen Dosis sind Grenzen gesetzt, da sonst ein Übertraining droht, das einerDepression ähneln kann.
7. Die Anwendung von Antidepressiva (die ja oft auch gegen Ängste wirken) schließt, wie viele Studien zeigen, gleichzeitigen Sport nicht aus. Vielmehr scheint Bewegungden günstigen Einfluss von Antidepressiva auf die Zellneubildung im Gehirn zumin-dest im Tierexperiment sogar zu verstärken. Riskante Sportarten, bei denen Antide-pressiva das Reaktionsvermögen beeinträchtigen können, sollten insbesondere de- pressive Menschen ohnehin nicht ausüben (mangelnde Konzentrationsfähigkeit, Ver-langsamung, Suizidgefahr!).
8. Vermehrte bzw. tägliche Bewegung sollte allein schon aus allgemein gesundheitli- chen Gründen lebenslang auch dann fortgeführt werden, wenn eine Angststörungoder Depression abgeklungen ist. Bei Depressionen ist es heute selbstverständlich,dass das bis dahin angewandte Antidepressivum auch nach dem Verschwinden derDepression noch über eine gewisse Zeit als „Erhaltungstherapie“ eingenommen wird(bei wiederkehrenden Depressionen mitunter sogar auf Dauer, dann spricht man von„Langzeittherapie“). Auch diese Überlegung spricht dafür, nach der „Heilung“ mitSport fortzufahren. Sollte es zu einem Rückfall kommen, kann man davon ausgehen,dass das, was einmal gewirkt hat, vermutlich erneut greifen wird.
Dass der Weg in den Sport mitunter einem Hürdenlauf ähnelt, zeigt folgende Aussage („Ori-ginalton“) eines Mannes, der wegen einer Dysthymie ausgeprägter Burnout-Symptomatikpsychotherapeutische Hilfe aufsuchte (der Patient ist zudem übergewichtig): Anfangs wollte ich nicht so recht da dran. Ich hatte Schwierigkeiten mir vorzustellen, dassSport einen positiven Effekt auf meine Burnout-Probleme haben könnte. Sport erschien mirals zusätzlich zeitraubende Belastung in meinen ohnehin vollkommen überladenen Ar-beitstagen. Zu Beginn des letzten Jahres erzählte ein guter Freund mir seine Idee, einenkleinen Triathlon mitzumachen. Schlagartig wurde mir klar, dass das der Weg ist, mein vorsich hin dümpelndes Sportprogramm auf Vordermann zu bringen: da war ein herausfordern-des Ziel, für das ich mich begeistern und das ich gemeinsam mit meinem Freund angehenkonnte. Also begannen wir zusammen zu trainieren. Am Anfang war besonders das Laufenwirklich schwer; ich hatte sehr schmerzhafte Muskelverhärtungen in den Waden, weil ich seitJahrzehnten nichts mehr getan hatte. Irgendwann einmal sagte ich mir: warum machst DuDir eigentlich solchen Druck? In dem Moment passierte etwas Unglaubliches: ich begann eszu genießen, durch die Landschaft zu traben, meinen Körper, meinen Puls, meinen Atem zuspüren. Ich begann den Schmerz in meinen Waden anzunehmen und einfach zu gehen oderlangsamer weiter zu trotten in der Gewissheit, dass er irgendwann vorbeigeht. Und plötzlich,eines Nachts, trabte ich schmerzfrei volle zehn Kilometer ohne Pause über Berg und Tal. Dafühlte ich mich wie der König der Welt, und es machte Schnapp und alles andere, was früherso belastend war, erschien mir plötzlich nicht mehr so wichtig.
Mein Freund und ich trainierten immer häufiger, je näher der Triathlon kam. Mein Körperschien irgendwie aus einem Tiefschlaf aufzuwachen, er freute sich auf jede neue Trainings-einheit und ich freute mich über jedes bisschen mehr Fitness, das ich gewann. Dann, kurzvor dem Triathlon, kam eine sehr belastende Arbeitssituation über mich, und ich ließ in mei-nem Training nach. Aber ich sagte mir: Du startest auf jeden Fall, egal was passiert. Als derTag kam, war ich zum Bersten aufgeregt, begeistert und motiviert.
Leider musste ich früh aufgeben und war für einen Moment völlig am Boden zerstört, aberdann kam unser Fanclub, der sich während unseres Trainings gebildet hatte, und muntertemich wieder auf. Ich fühlte nun die Atmosphäre von außen, als Zuschauer, und kurioserwei-se begriff ich gerade nach dem Moment des Scheiterns: Wow, das ist genau mein Ding!Kaum einen Monat später war ich für den Triathlon dieses Jahres angemeldet.
Wieder begannen wir kurz nach Jahresanfang mit dem Training, und es war genauso wiedas Jahr zuvor. Schwimmen, Radfahren und Laufen wurde zum Kontrapunkt meines Ar-beitsalltags, es umrahmte meinen Arbeitstag und sorgte dafür, dass ich wach und ausgeruhtwar, denn nachts war ich viel zu müde, um mir wie früher sorgenvolle Gedanken zu machen.
Ich nahm die Arbeit nicht mehr so schwer, denn ich hatte ein weiteres Ziel: in diesem Jahrden Triathlon zu beenden. Ich war mir vollkommen sicher, dass ich das schaffen würde - bisich zwei Monate vor dem Triathlon mit dem Rad stürzte und mir die Kniescheibe brach.
Ich kann gar nicht sagen, wie sehr es mich frustrierte, wochenlang mit einem geschientenBein auf einem Fleck zu hocken. Den Start habe ich abschreiben müssen. Es geht nur lang-sam aufwärts, aber inzwischen schwimme ich wieder fast einen Kilometer, und das Treppen-steigen geht langsam besser. Mit Physiotherapie zweimal die Woche bin ich dabei, mich
wieder hochzupäppeln. Ich möchte schließlich in ein paar Monaten wieder trainieren, dennmein Ziel ist klar: der Triathlon im nächsten Jahr. Zitierte Literatur
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Source: http://www.dr-mueck.de/pdfs/Sport-bei-Angst-und-Depression-Herbert-Mueck-5-Internationaler-Hamburger-Sport-Kongress-2010.pdf

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