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Wohlgesonnene Götter am Strand von Waikiki
Die Zocker von Old Hollywood – Frank Sinatra & Co.
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Ein schönes Wiedersehen mit meinem Vater in Las Vegas, um 2000
»Ich habe es geahnt, ich habe es gespürt. Dieses Dunkle, diese Angst,hatte etwas damit zu tun.« Heute denke ich, dass sich mein Unterbe-wusstsein in den vergangenen Tagen auf diese Nachricht vorbereitethatte, und so löste sie auch keinen weiteren Schock aus. Danach telefonierte ich mit meinen beiden Halbschwestern JamieLee und Kelly, den Töchtern meines Vaters mit der SchauspielerinJanet Leigh. Ich tröstete sie sogar: »Es tut mir so leid, wir haben ihnalle verloren.« Kelly empfand wie ich, aber Jamie sagte sehr direkt:»Well, it doesn’t matter. He was a shitty father.« Ihre Aussage verstörtemich sehr. Mochte sie so denken, das war ihre Sache. Aber die jün-gere Schwester unmittelbar nach der Todesnachricht mit einem sol-chen Statement zu konfrontieren, war völlig fehl am Platz. Dochich erwiderte nichts, sondern verabschiedete mich nur schnell: »Gut,wir sehen uns dann auf der Beerdigung.«
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Als ich aufgelegt hatte, fühlte ich mich vollkommen kraftlos. ZumGlück wurde Raphael wieder zur Schule abgeholt; erst als ich alleinewar, begriff ich, was ich am Telefon gehört hatte. Ich wollte etwastun, etwas für meinen Vater. Wenn ein Jude stirbt, muss man fürihn beten, solange seine Seele noch unter den Menschen ist. Daddywar erst zwei, drei Stunden tot, da war es noch nicht zu spät. Ich wusste, dass es in Palma eine Synagoge gab, die ComunidadJudia de les Illes Balears, dort wollte ich hin. Auf einmal verhielt ich mich wie eine spanische Witwe. Ich kleidetemich in Schwarz, setzte mir einen schwarzen Hut auf, ohne mich zuschminken. Die Haare hatte ich gerade noch gekämmt. Als der Taxi-fahrer erschien, drückte ich ihm einen Zettel mit der Adresse der jüdi-schen Gemeinde in die Hand und sagte in meinem schlechtenSpanisch: »Mein Vater ist tot, fahren Sie mich zur Synagoge.« Er zeigtekeinerlei Reaktion, schweigend setzte er mich vor dem Eingang ab. Nachdem ich die Fahrt bezahlt hatte, stürmte ich in die Synagoge. Im vorderen Bereich entdeckte ich einen Mann, der offenbar zurGemeinde gehörte. Gerade noch konnte ich mich zurückhalten: Ineinem Gotteshaus musst du gemessenen Schrittes gehen, Allegra. Nicht rennen. Als ich den Mann endlich erreicht hatte, flehte ich ihnan: »Bitte, helfen Sie mir. Mein Vater ist gerade in Las Vegas gestor-ben, er war Jude, ich weiß nicht, was ich tun soll.« Der Mann be-griff sofort, dass ich kurz vor einem Zusammenbruch stand. Erergriff meine Hand und stellte sich erst einmal mit seinem Namenvor. Er hieß Joseph. Inzwischen war ein zweiter Geistlicher zu unsgeeilt und die beiden führten mich zu einer Bank. »Jetzt setzen Siesich ganz ruhig hier hin«, meinte Joseph. Danach ging er zur Thora,der Heiligen Schrift des Judentums, und las das Kaddisch, das Gebetfür die Toten, in dem der Tod und das Sterben unerwähnt bleiben. Es ist eine Lobpreisung Gottes. Die Worte beruhigten mich, und als Joseph wieder zu mir kam – erfragte weder nach, wer ich wäre, noch wie mein Vater hieße –, wollte
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ich von ihm wissen, was ich noch tun könnte. Ich war nicht im jü-dischen Glauben erzogen worden, doch ich hatte in den vergange-nen zwanzig Jahren versucht, mehr vom Judentum zu verstehen. Von seinen Toten- oder Klageritualen hatte ich aber nicht die ge-ringste Ahnung. »Bleiben Sie erst einmal ruhig«, erwiderte Joseph, danach führte ermich aus der Synagoge, auf eine Plaza. Als wir uns dort auf eineBank niederließen, fuhr er fort: »Die ersten drei Tage müssen Sienichts machen. Sie müssen nur achtgeben, dass Sie nicht zu hoch sit-zen, am besten auf dem Boden. Trinken Sie, wenn Sie wollen, lachenSie, wenn Sie wollen, weinen Sie, wenn Sie wollen, reden Sie mitanderen Menschen über Ihren verstorbenen Vater. Ansonsten brau-chen Sie nichts zu tun.«Langsam fühlte ich, dass ich noch in der Welt war. Was Joseph mirsagte, half mir, mich in meiner Trauer, in meiner Verwirrung zu-rechtzufinden. »Haben Sie schon etwas gegessen?«, fragte er in mein Schweigen hin-ein. »Nein«, antwortete ich. »Sie müssen ein Ei zu sich nehmen und gekochte Linsen. Drei Tagelang.«Warum gerade diese beiden Dinge – danach fragte ich nicht, ver-traute einfach nur darauf, dass er mir das Richtige sagte. Ich befolgteauch genau seine Anweisung, später erfuhr ich, dass Juden in derintensivsten Trauerzeit runde Lebensmittel zu sich nehmen: Eier,Linsen oder Bagel. »Aber wann wird die Beerdigung sein?« Ich hatte in den Gesprächenmit meinen Schwestern erfahren, dass mein Vater ein jüdisches Be-gräbnis haben sollte – wie ich es mir für ihn gewünscht hatte. Ichwar sehr erleichtert darüber, aber ich wusste: Traditionell wurdendie Toten an ihrem Sterbetag beerdigt, spätestens achtundvierzigStunden, nachdem der Tod eingetroffen war. Wie sollte ich in die-
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ser Zeit nach Las Vegas kommen? Und sollte ich nicht auch dreiTage ruhen?Joseph klärte mich erneut auf: »Ein jüdischer Mann, der am Don-nerstag stirbt, wird nicht am Freitag begraben. Da beginnt Sabbat,und am Samstag und Sonntag finden auch keine Beisetzungenstatt.« Zwar war mein Vater am Mittwoch gestorben, aber durch dieachtstündige Zeitverschiebung war in Europa schon Donnerstag. Unabhängig davon wurde die Beerdigung meines Vaters für Mon-tag angesetzt, für den 4. Oktober. Der Spanier winkte eine der schwarz gekleideten Frauen heran, dieauf einer Nachbarbank saßen. Die Frau war vielleicht Mitte, Endefünfzig, mit einem faltigen, schönen Gesicht und sanften dunkel-braunen Augen. Sie nahm meinen Arm. Ohne Widerstand ließ ichmich von ihr führen. Nach wenigen Schritten standen wir vor ihremHaus. Dass es ihres war, erklärte sie mir stolz. Auf dem Weg dort-hin hatte sie mir erzählt, ihre Mutter sei in Israel gestorben, sie seiauch nicht bei ihr gewesen, als es passierte. In ihrer einfachen Küchelegte sie Kissen auf den Boden, kochte Eier und Linsen. Wir aßenzusammen, es tat gut, dennoch fühlte ich mich völlig verloren,kannte ich diese Frau doch überhaupt nicht. Aber genau diese Ver-lorenheit – sie war es, die mich mein Leben immer begleitet hatte. Die verlorene Tochter, die nach ihrem Vater suchte und ihn nie fand.
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Ich bin das Kind von Schauspielern. Meine Mutter heiratete meinenVater mit achtzehn, ein Jahr später kam meine Schwester AlexandraTheodora Dido auf die Welt. Christine Kaufmann und Tony Cur-tis waren zwei Menschen, die sich sehr liebten, als sie an einemSonntag im Juli 1964 ihr erstes gemeinsames Kind im Arm haltenkonnten. Sie bewohnten ein kleines Haus, waren selig und küm-merten sich wie alle Eltern zärtlich um das Kind. Dieses Glückwährte aber nicht lange, schon bald zeigten sich erste Risse, die auchmit dem großen Altersunterschied und verschiedenen Interessen zutun hatten. Nach außen hin gaben sie aber weiter das strahlendePaar ab, auch wenn Wirklichkeit und Anschein immer stärker aus-einanderklafften. Christine Kaufmann hatte Tony während der Dreharbeiten zu demFilm Taras Bulba (1962) kennengelernt, einem amerikanisch-jugo-slawischen Abenteuerstreifen. Produziert wurde er in Argentinien,im Land des Tangos. Vielleicht lag es auch an der besonderen At-mosphäre dieses Landes, dass sich mein Vater in die sechzehnjäh-rige Schönheit verliebte, obwohl er damals noch mit Janet Leighverheiratet war. Aber mein Vater verknallte sich so sehr in diese ver-
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führerische Lolita aus Europa, dass er nicht von ihr lassen konnte. Immerhin war er, der um zwanzig Jahre Ältere, so anständig, ihr zuversprechen: »Wenn du achtzehn bist, werde ich dich heiraten.« Under hielt dieses Versprechen. Für mich erstaunlich war aber auch, dassmeine Mutter in den zwei Jahren Wartezeit so entschieden an ihrerLiebe festhielt. Sie musste Tony genauso gewollt haben wie er sie. Mit Sicherheit hatten die beiden während ihrer »Durststrecke« Kon-takt miteinander, aber Genaueres erfuhr ich nie. Dennoch, wennich nachfragte, klang es immer so, als ob meine Mutter sich damalsständig bemühen musste, Tony zu halten. Aber warum war da soviel Einsatz nötig? Mein Vater war ein Ästhet, ein Mann, der schöneFrauen liebte, da musste ihm meine Mutter doch als schönste allerFrauen vorgekommen sein. Er hatte sie gesehen, und das war’s. Eineunglaubliche körperliche Anziehungskraft muss von ihr ausgegangensein, dieses Rosengesicht, die grünen Augen, das schwarze Haar, dergroße Busen, die schmale Taille. Schon in Taras Bulba durfte sich mein Vater in meine Mutter ver-lieben, da spielte sie die polnische Prinzessin Natalia, der Andrei,der Sohn eines Kosakenführers, verfallen war. Andrei, von Tony dar-gestellt, wurde aber von Natalia abgewiesen, weil er nicht adlig war. Doch als sie aus irgendwelchen Gründen zum Tode verurteilt wurde,änderten sich ihre Empfindungen für ihn. Seltsamerweise konnte ich mir den Film nie zu Ende anschauen,immer fing ich zu weinen an, wenn ich an diese Stelle kam. MeineEltern so auf der Leinwand zu sehen, das war mir zu intim. Sieumarmen sich, sie küssen sich – das war mir immer sehr peinlich. Denn so hatte ich meine Eltern nie kennengelernt. Da war meineMutter, da war mein Vater. Aber ein Paar, das sich derart nah war,so hatte ich sie in der Realität nie erlebt. Nur auf der Leinwand, undda war es voyeuristisch. Dennoch: Man merkt bei diesem Film, dasses zwischen ihnen knisterte, zwischen dem wunderschönen Mannund dieser erotischen Kindfrau.
Functional Relationships in the Nuclear and Extended Family: A 16 Culture Study James Georgas, Kostas Mylonas, & Tsabika Sophia Christakopoulou, UK Cigdem Kagitcibasi Sabiha Orung, & Diane Sunar Bogazici University Turkey Neophytos Charalambous TATA Institute of Social Sciences, India International Journal of Psychology (in press) James Georgas Department of Psychology School