S t a n d p u n k t T R I B Ü N E Der Schwangerschaftsabbruch und sein Stellenwert in der medizinischen Versorgung Die Initiative «Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache» möchte die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs aus dem Pflichtleistungs-Katalog der Grundversiche- rung herausnehmen. Für Frauen mit knappen Ressourcen, Jugendliche und Migran- tinnen könnte dies gesundheitlich schädliche, aber auch volkswirtschaftlich uner- wünschte Wirkungen haben.
Die bevorstehende Volksabstimmung über die Ab-
Quelle est la place de
geltung des Schwangerschaftsabbruchs (SA) durch die Krankenversicherung gibt die Gelegenheit, den
l’interruption de grossesse dans
Stellenwert des SA in der medizinischen Versorgung
les soins médicaux en Suisse?
der Schweiz zu beleuchten. In der Schweiz ist etwa jede fünfte Frau mindestens einmal im Leben davon
L’initiative populaire fédérale «Financer
betroffen. Unerwünschte Schwangerschaften sind neben der individuellen existentiellen Bedrohlich-
l’avortement est une affaire privée» entend radier
keit für Frauen im fruchtbaren Alter auch eine wich-
les coûts de l’interruption de grossesse (IVG) du ca-
tige Grösse für die öffentliche Gesundheit. In den
talogue des prestations prises en charge par
Ländern mit den geringsten Hindernissen für Frauen mit unerwünschten Schwangerschaften ist die Rate
l’assurance obligatoire de base. Or, cela pourrait avoir des conséquences néfastes non seulement sur
In der Schweiz werden jährlich rund 11 000 SA
la santé des femmes à faible revenu, des jeunes et
vorgenommen [1]. Die Rate von 6,8 SA pro
des migrantes, mais aussi sur l’économie.
1000 Frauen im gebärfähigen Alter ist die tiefste in Europa und möglicherweise weltweit. Die Zahl der
En Suisse, la prise en charge médicale des grossesses
SA ist bis in die 80er Jahre drastisch gesunken. In der
non désirées est excellente en comparaison interna-
vergangenen Dekade verminderte sie sich nur noch
tionale. Les consultations, les informations et les
wenig. Die Geburten haben dagegen in den vergan-genen Jahren wieder zugenommen. Im Jahr 2011 ka-
contraceptifs sont faciles d’accès pour la grande ma- jorité des femmes et le nombre d’IVG y est plus bas
Der Zugang zum SA ist in der Schweiz für die
que dans les autres pays à l’échelle européenne, Interaktiver . -------
meisten Frauen mit unerwünschter Schwanger-
voire mondiale: 11 000 IVG par an, soit un taux de
schaft nicht schwierig und ist ohne Zeitverzug ge-währleistet. Die meisten Schwangerschaftsabbrüche
6,8 IVG pour 1000 femmes en âge de procréer.
erfolgen im Zeitraum von weniger als 5 Wochen
L’article ci-après traite de la prise en charge médi-
nach der Empfängnis (< 7 Wochen Amenorrhoe).
cale des IVG, des lacunes à combler et du potentiel
Zwei Drittel der Abtreibungen werden mit Medika-
menten alleine und nur ein Drittel mit chirurgi-
d’amélioration dans ce domaine.
schen Mitteln vorgenommen. Spätabbrüche sind
selten: 2011 erfolgten nur 5 % nach der 12. Schwan-
gerschaftswoche wegen besonders schwerwiegen-
www.saez.ch/
den Gründen. Teenagerschwangerschaften sind in
aktuelle-ausgabe/ interaktive-beitraege/
der Schweiz selten. Im Alter von 15 bis 19 Jahren hat-
wenig entwickelten Ländern: Zum Beispiel starben in
ten 4,6 Frauen oder Mädchen pro 1000 einen SA. 1 %
Portugal bis zur Gesetzesreform im Jahr 2007 jährlich
der SA betrifft Mädchen von weniger als 16 Jahren.
mehrere Frauen an den Folgen von Pfuschereien; 28 %
Für Frauen im fruchtbaren Alter ist ungenügende
der Frauen mussten wegen Komplikationen hospitali-
medizinische Betreuung von Schwangerschaften
siert werden [3]. In den meisten Ländern Westeuropas
weltweit nach wie vor die wichtigste Ursache von
aber ist der Zugang zu Kon trazeptiva und medizinisch
Krankheit und Tod. Jährlich sterben 47 000 Frauen an
korrekt durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen
den Folgen von nicht fachkundig durchgeführten SA
gewährleistet. Schwere oder gar tödliche Komplikatio-
andre.seidenberg[at]hin.ch
[2]. Dieser Zusammenhang zeigt sich nicht nur in
Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 25
S t a n d p u n k t T R I B Ü N E
metrialen Synechien finden sich Abtreibungen in
der Vorgeschichte deutlich gehäuft. Solche Verkle-
bungen der Gebärmutterschleimhaut können beim
chirurgischen SA durch möglichst schonendes Ab-saugen und sparsames Ausschaben mit dem scharfen Löffel anscheinend nicht immer vermieden werden.
Auch in grossen wissenschaftlichen Untersu-
chungen zeigt sich aber keine signifikant verminderte Fruchtbarkeit nach Abtreibungen [7]. Einflussgrössen (selection biases) wie beispielsweise die Häufigkeit von sexuell übertragbaren Infektionen, Suchtmittel-konsum, andere Risikoverhalten oder Migration ver-fälschen die Aussagekraft solcher Statistiken erheb-lich. Für die meisten Frauen ist die unerwünschte Schwangerschaft zunächst einmal der Beweis ihrer Fruchtbarkeit, und ein Gespräch über Kontrazeptiva ist vordringlich. Andere körperliche Folgen von SA werden immer wieder in Medien behauptet, aber ent-behren der wissenschaftlichen Grundlagen.
Zweifellos ist eine unerwünschte Schwanger-
schaft im Leben einer Frau nicht selten ein markan-tes Ereignis und steht oft in Zusammenhang mit schwerwiegenden Krisen im unmittelbaren per-sönlichen Beziehungsfeld. Beziehungskrisen, uner-
6,8 Schwangerschafts abbrüche pro 1000 Frauen im
wünschte Schwangerschaft und SA sind daher nicht
gebärfähigen Alter: Diese Rate in der Schweiz ist die
überraschend oft prägende Inhalte von psychischen
Störungen. Ein ursächlicher Zusammenhang von späteren psychischen Störungen kann aber in kei-nen grossen Studien nachgewiesen werden [8, 9].
In der Schweiz sind laut bundesamtlicher Sta-
Frauen waren nach einem SA im ersten Trimester
tistik seit 1980 keine Todesfälle in Zusammenhang
nicht öfter psychisch krank als vorher [10].
mit SA bekannt geworden, dagegen sterben 5,2
Die eidgenössische Initiative «Abtreibungsfinan-
Frauen pro 100 000 Geburten Grössere Untersu-
zierung ist Privatsache» verlangt, dass die Kosten
chungen in Grossbritannien [4] zeigen 2004 eine
eines SA von der Grundversicherung der obligatori-
mütterliche Mortalität von 6 auf 100 000 Geburten
schen Krankenversicherung nicht mehr übernom-
gegenüber 0,2 pro 100 000 SA und bestätigen die
men werden. Diese Änderungen von Art. 30 KVG
Zahl von zwei Todesfällen pro Million SA aus ameri-
& Art. 119 StGB können für Frauen mit knappen
kanischen früheren Untersuchungen. Infektionen
Ressourcen, für Jugendliche und Migrantinnen ge-
mit Clostridium sordellii haben in Amerika zu insge-
sundheitlich schädliche, aber auch volkswirtschaft-
samt einem knappen Dutzend Todesfällen beim
lich unerwünschte Wirkungen haben. Amerikani-
medikamen tösen SA geführt, in Europa ist nur ein
sche Untersuchungen [11] über die Auswirkungen
der Streichung von Medicaid-Leistungen an den SA
Auch in Bezug auf nicht-tödliche Komplikatio-
nen ist es für eine Frau um ein Vielfaches sicherer,
– dass die zusätzlichen öffentlichen Kosten den
ihre unerwünschte Schwangerschaft abzubrechen,
durch die Streichung der Finanzierung von Ab-
als bis zur Geburt auszutragen und zu gebären [5].
treibungen durch Medicaid eingesparten Betrag
Bei Abtreibungen können sehr selten Komplika-
tionen der Anästhesie, schwere Blutungen oder
– dass sich der SA wegen Finanzierungsproblemen
schwere Infektionen beobachtet werden. Aufstei-
gende Infektionen sind meistens vorbestehend, und
– dass unerwünschte Schwangerschaften ver-
die Häufigkeit kann durch prophylaktische Anti-
biose (z. B. mit einem Gramm Azithromycin) kosten-
– dass ein kleiner Prozentsatz von Frauen selber
günstig reduziert werden. Komplikationshäufigkeiten
versucht, eine Abtreibung zu provozieren [12].
korrelieren positiv mit der Schwangerschaftsdauer. Ein medikamentöser SA vor der 7. Schwangerschafts-
Die Kosten des SA belaufen sich gemäss einer Studie
in der Romandie [13] auf durchschnittlich 1360
Perforationen der Uteruswand oder via falsa bei
CHF, aber variierten erheblich von 400 CHF bis 3500
der Cervixdilatation sind beim chirurgischen SA
CHF. Der medikamentöse SA war mit durchschnitt-
gelegentlich [6] möglich, aber führen äusserst selten
lich 1076 CHF billiger als das chirurgische Vorgehen
zu bleibenden Schäden. Bei Patientinnen mit endo-
mit 1490 CHF. Die Kosten sind nur teilweise abhän-
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gig von unterschiedlichem Aufwand. Die Tarifierung
Eine allfällige Annahme der Initiative «Abtrei-
in der Grundversicherung ist auch ein Schutz vor
bungsfinanzierung ist Privatsache» hätte negative
öffentliche Auswirkungen. Die volkswirtschaftli-
Die Kosten müssen von allen schweizerischen
chen Gesamtkosten würden voraussichtlich steigen
Krankenkassen in der Grundversicherung übernom-
und die reproduktive Gesundheit der Schweizer
men werden. Trotzdem werden SA oft nicht über die
Frauen könnte beeinträchtigt werden. Erschwernisse
Kasse abgerechnet; in unserer eigenen Praxis bezahlt
im Zugang zum SA beispielsweise durch Finanzie-
ein Drittel der Patientinnen selber. Gründe dafür
rungsprobleme treffen vor allem vulnerable Grup-
sind ein hoher Franchisenbetrag oder der ungenü-
pen. Die Versorgung kann in der Schweiz vor allem
gende Schutz ihrer Geheimsphäre bei Abrechnung
für junge Frauen und Frauen mit Migrationshinter-
durch die Krankenversicherung. Frauen müssen
grund verbessert werden. Verbesserungen sehen wir
einen SA gegenüber ihren Eltern oder dem Partner
vor allem in den Bereichen der Finanzierung von
oft verheimlichen. Zwang oder gar Gewalt bedroht
Kontrazeptiva und von Abklärungen bezügich STI.
nicht nur junge Frauen mit Migrationshintergrund. Frauen mit unerwünschter Schwangerschaft unter-
Literatur
liegen in dieser Situation oft Pressionen, die ihre
1 Bundesamt für Statistik: Schwangerschaftsabbrüche in
ganze Zukunft und unmittelbar ihre Gesundheit
der Schweiz, 2011. www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/
Die medizinische Versorgung von Frauen mit
2 Zusammenfassung auf der Website des Guttmacher
unerwünschter Schwangerschaft weist in der Schweiz
Institute: www.guttmacher.org/media/evidencecheck/
geringe Lücken auf. Seit der Volksabstimmung zur Revision der schweizerischen Strafgesetzbuchartikel
3 Duarte Vilar: The Portuguese Experience. FIAPAC
119 & 120 («Fristenregelung») im Jahr 2002 sind die regionalen Unterschiede zurückgegangen. Nicht
4 RCOG: Saving Mothers’ Lives: Reviewing maternal
deaths to make motherhood safer: 2006–2008. The
überall kann der SA ambulant oder medikamentös
Eighth Report of the Confidential. Enquiries into
durchgeführt werden. Von 113 Schweizer Kliniken,
Maternal Deaths in the UK. March 2011; Volume 118,
die auf eine repräsentative Umfrage der APAC-Suisse
[14] geantwortet haben, führen 93 (82 %) SA durch.
5 Rowlands S. Misinformation on abortion. The
Von diesen nehmen 69 % auch nach der 12. Schwan-
European Journal of Contraception and Reproductive
gerschaftswoche Abbrüche vor, aber bloss 49% auch
bei psychosozialer Indikation («schwere seelische
6 Soulat C, Gelly M. Complications immédiates de l’IVG
Notlage», gemäss StGB Art. 119 Abs. 1).
chirurgicale. J Gynecol Obstet Biol Reprod.
Wenn der SA nach der 12. Schwangerschafts-
woche in einem Kanton abgelehnt wird, kann die
7 Rowlands S. Misinformation on abortion. The
European Journal of Contraception and Reproductive
Frau aus versicherungstechnischen oder administra-
tiven Gründen von den meisten Kliniken in anderen
8 APA Task Force. Mental health and abortion.
Kantonen nicht aufgenommen werden. Jährlich
Washington, DC: American Psychological Association;
reisen rund 50 Frauen aus der Schweiz für einen SA
9 Charles VE, et al. Abortion and long-term mental
health outcomes: A systematic review of the evidence.
10 Munk-Olsen T, et al. Induced First-Trimester Abortion
«Die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten würden
and Risk of Mental Disorder. N Engl J Med.
voraussichtlich steigen.»
11 Henshaw SK, et al. Restrictions on Medicaid Funding
for Abortions: A Literature Review. July 2009. www.
guttmacher.org/pubs/MedicaidLitReview.pdf
12 Reproductive Health Matters, Volume 18, Issue 36 ,
Zu unerwünschten Schwangerschaften füh-
rende Situationen sind oft mit einem erhöhten Ri-
13 Perrin E, et al. Clinical course in women undergoing
siko für sexuell übertragbare Infektionen (STI) ver-
termination of pregnancy within the legal time limit
knüpft. Bei allen Schwangeren wäre eigentlich eine
in French speaking Switzerland. Swiss Med Wkly.
vollständige STI-Abklärung inklusive HIV-Screening
angebracht. In unserer eigenen Praxis wurden bei
14 Rey AM, Seidenberg A. Schwangerschaftsabbruch: die
den für einen SA voruntersuchten Frauen in 9 %
Praxis der Spitäler und Kliniken in der Schweiz. Die
Chlamydia trachomatis [15] und 1 % Neisseria Go-
Ergebnisse einer Umfrage der APAC-Suisse aus dem Jahr
2009. Schweiz Ärztezeitung. 2010;91(13/14):551–4.
norrhoeae gefunden. Gerade bei besonders vulnera-blen Frauen konnten weitere STI-Abklärungen oft
15 Wesbonk JP. Prevalence and determinants of sexually
transmitted infections in women undergoing abortion
nicht durchgeführt werden, unter anderem wegen
in a Swiss primary care setting. Diss. Universität Zürich
Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 25
Concussion Patient Information Sheet Name : _______________________________________________: You have had a concussion and need to be watched closely for the next several days until you have completely recovered. The following information is regarding your treatment and recovery. What is a concussion? A concussion is a brain injury that is caused by a blow to the head or body. It may o
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